Blutstein
Mondgestalt!«
Die Beamten sehen sich nachdenklich an.
»Was meinst du, kann so einer überhaupt angeklagt werden?«
»Keine Ahnung. Wie alt ist er denn, Fors?«
»Siebzehn.«
»Dann vielleicht ...«, meint der eine. »Wir müssten das überprüfen.«
Vendela ist übel. Sie öffnet den Mund:
»Nein!«
Alle Köpfe drehen sich zu ihr um, sie muss etwas sagen:
»Es war meine Schuld. Ich war es! Ich habe die Kühe gehasst. Ich bin
in die Alvar gegangen und habe darum gebeten, dass sie verschwinden! Ich habe
die ...«
Die Elfen gebeten ,
will sie eigentlich sagen, aber sie traut sich nicht. Dadurch würde sie alles
nur schlimmer machen.
Zuerst sehen die Polizisten sie erstaunt an, dann lächeln sie sich
an. Einer von ihnen zwinkert.
»Das ist ja eine richtig kriminelle Familie!«, sagt er.
Und dann verlassen die Beamten den Raum und schieben sich an Vendela
vorbei die Treppe hinunter.
Nachdem sie abgefahren sind, senkt sich eine große Stille über den
Hof. Henry schweigt verbissen, aber Vendela will auch gar nicht mit ihm reden.
Das Gerücht, dass die Polizei Henry in Verdacht hat, scheint sich schnell
verbreitet zu haben. Denn schon am nächsten Tag kommt kein einziger Besucher
mehr auf den Hof – alle Nachbarn machen große Umwege.
In den Wochen nach dem Brand folgt ein Verhör dem nächsten. Am Ende
wird das Urteil gefällt, dass sowohl Henry Fors als auch sein Sohn ein
Verbrechen begangen haben: Jan-Erik hat den Stall in Brand gesteckt, und Henry
hat diese Tat zunächst geheim gehalten, um die Versicherungsprämie zu kassieren.
»Aber Jan-Erik war es nicht«, sagt Vendela zu ihrem Vater. »Du warst
es.«
Henry zuckt mit den Schultern.
»So macht es aber einen besseren Eindruck. Dein Bruder ist
geisteskrank, die können ihn nicht verurteilen.«
Trotz der Ereignisse geht Henry jeden Tag in den Steinbruch. Mit
geradem Rücken fährt er jeden Morgen an die Küste und kehrt jeden Abend wieder
nach Hause zurück. Vendela traut sich nicht zu fragen, womit er sich da den
ganzen Tag beschäftigt, denn Kunden hat er keine mehr.
Auch sie macht so weiter wie bisher und geht jeden Tag zur Schule.
Aber sowohl der Weg dorthin wie auch zurück nach Hause wird zu einer einzigen
Qual. Sie ist nicht mehr Vendela Fors, sondern nur noch ein Teil der
»Brandstifterfamilie«, und in den Pausen sitzt Dagmar Gran mit den anderen
Mädchen aus der Klasse zusammen und sieht sie nicht einmal an.
Nach ein paar Wochen des schweigsamen Wartens werden Jan-Erik und
Henry ins Gericht nach Borgholm zitiert.
Henry zieht sich den schwarzen Sonntagsanzug an und kämmt sich
sorgfältig. Für seinen Sohn holt er saubere Kleidung aus dem Schrank und geht
zu ihm in den ersten Stock hoch.
Er schreit ihn an. Vendela begreift, dass sich Jan-Erik weigert
mitzugehen. Aber nach einer Weile kommt Henry mit seinem Sohn in den Armen die
Treppe hinunter. Jan-Erik klammert sich ängstlich an seinem Vater fest.
»Und jetzt gehen wir zum Zug«, befiehlt Henry mit fester Stimme.
Vendela steht im Flur. Ihr Bruder hat zwar ein sauberes Hemd an,
aber sein Gesicht ist so schmutzig wie immer.
»Sollte sich Jan-Erik nicht waschen?«
»Doch, aber sie haben mehr Mitleid, wenn er so aussieht«, erklärt
Henry und verlässt den Hof.
Vendela muss zu Hause bleiben. Sie setzt sich in die Küche und
wartet.
Spät am Abend erst kehren Henry und Jan-Erik zurück. Es wurde ein
Urteil gefällt: Henry bekommt acht Monate Freiheitsstrafe wegen
Versicherungsbetrugs. Die Strafe muss er im Gefängnis von Kalmar verbüßen.
Des Weiteren – weil Henrys wirtschaftliche Situation so ist, wie sie
ist – müssen der Hof und das gesamte Inventar versteigert werden.
»So ist es nun einmal«, sagt er, nachdem er Jan-Erik in sein Zimmer
gebracht hat und bei Vendela in der Küche steht. »Gott entscheidet – er gibt
und er nimmt, daran muss man sich gewöhnen.«
Sein Lächeln hat etwas Höhnisches, als wäre das Ende des Hofes eine
gute Neuigkeit.
»Und Jan-Erik?«, fragt Vendela. »Muss er auch ins Gefängnis?«
»Nee.«
»Ist er freigesprochen?«
Henry schüttelt den Kopf.
»Das hat leider nicht so geklappt, wie ich es mir gewünscht habe ...
Er muss nach Norrland.«
»Norrland?«
»Salberga heißt das. Es ist eine Anstalt für asoziale Geisteskranke.«
»Und wie lange?«
»Das weiß ich nicht ... Vermutlich, bis sie ihn laufen lassen.«
Ein unheilvolles Schweigen senkt sich über die beiden Menschen in
der Küche, bis Vendela sich traut zu fragen:
»Und
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