Blutstein
sich
zum Gehen.
Sie blieb einen Moment unschlüssig stehen und überlegte, ob sie ihm
folgen sollte.
Aber was würde er dann tun? Was würde sie tun? Die vielen
Möglichkeiten erstreckten sich wie eine weitverzweigte Flusslandschaft vor ihr.
»Schlaf gut, Per.«
Vendela machte sich auf den Nachhauseweg in ihr dunkles Märchenschloss.
55
P er
saß an seinem Küchentisch, hielt das Telefon in der Hand und starrte aus dem
Fenster. Er konnte keine unbekannten Autos auf der Küstenstraße ausmachen, und
in den vergangenen Tagen hatten ihn auch keine anonymen Anrufe belästigt.
Trotzdem fiel es ihm an diesem Morgen sehr schwer, sich zu entspannen.
Eigentlich hatte er sich vorgenommen zu arbeiten, aber er hatte
keine Lust, sich noch weitere gefälschte Meinungen über Seife auszudenken.
Stattdessen beschloss er, Jerrys Angelegenheiten zu regeln.
Zuerst rief er bei Jerrys Bank in Kristianstad an, um herauszufinden,
wie es um die Finanzen seines Vaters bestellt war. Die entscheidende Frage war,
ob Per etwas erben würde.
Aber das schien nicht der Fall zu sein. Zweiundzwanzigtausend Kronen
lagen auf Jerrys Bankkonto. Zusätzlich gab es ein paar Volvo-Aktien – was
geradewegs zynisch war, da Jerry sich zeit seines Lebens geweigert hatte,
schwedische Autos zu fahren. Es gab weder kostbare Kunst, teure Weine noch Luxusautos.
Alles war weg. Morner Art war eine insolvente Firma.
»Ihr Vater war zwar noch nicht mittellos, aber stand kurz davor«,
erläuterte der Bankangestellte, der als Jerrys Nachlassverwalter eingesetzt
war.
»Aber er hatte früher doch so viel Geld?«
»Ja, das stimmt. Die Aktiengesellschaft hatte Kapital. Aber Ihr
Vater hat in den letzten Jahren einige größere Summe abgehoben. Und das Anwesen
in Ryd ist im Moment eine Versicherungsangelegenheit ... Sie verfügen also im
Großen und Ganzen über ein Vermögen, das die Kosten der Beerdigung decken
wird.«
Dann kann ich ihm wenigstens eine ordentliche Bestattung
organisieren, dachte Per.
Er hatte geahnt, dass er nicht viel von seinem Vater erben würde,
zumindest nichts von Wert. Dafür hatte er ihm andere Dinge hinterlassen.
»Sagen Sie, diese Summen, die aus dem Kapital der Aktiengesellschaft
genommen wurden, waren das Gehaltszahlungen an ihn selbst?«
»Nein«, erwiderte der Nachlassverwalter. Er drückte ein paar Tasten
auf seinem Computer und las dann ab: »Es waren Gehaltszahlungen und zusätzliche
Rentenbeiträge an einen Angestellten, einen Hans Bremer.«
Nach dem Telefonat saß Per eine Weile reglos am Tisch und dachte
nach. Weshalb Hans Bremer? Warum hatte er so viel Geld bekommen? Und wo war das
ganze Geld geblieben? Seine Schwester hat davon auf jeden Fall nichts gesehen.
Plötzlich fiel ihm der Zettel wieder ein, den er in Bremers Küchenschrank
gefunden hatte. Der Zettel mit den vier Namen.
Die Hose hatte er schon in den Wäschekorb geworfen, aber er steckte
zum Glück noch in der Tasche.
Per legte ihn vor sich auf den Tisch und konzentrierte sich auf die
vier Namen INGRID , CASH , FONTENE und DANIELE , hinter
denen vier Telefonnummern standen.
Ingrid war Bremers Schwester, die musste er nicht anrufen – aber die
anderen drei waren ihm unbekannt. Er entschied sich, sein Glück bei der ersten
Nummer hinter dem Namen »Cash« zu probieren. Es schien eine Handynummer zu
sein. Oder sollte er diese ganze Sache einfach auf sich beruhen lassen?
Möglicherweise, aber die Alternative war, unentwegt an Tumore zu
denken. Entschlossen griff er zum Hörer.
Dreimal klingelte es, dann ertönte eine energische Männerstimme:
»Fall.«
»Hallo«, sagte Per, »mein Name ist Per Mörner.«
»Ja, bitte?«
»Ich rufe Sie wegen Hans Bremer an, kennen Sie ihn?«
Es war einige Sekunden still in der Leitung, Per konnte
Stimmengewirr im Hintergrund hören wie bei einer Konferenz:
»Bremer ist tot.«
»Ja, ich weiß«, antwortete Per. »Ich versuche nur, ein bisschen mehr
über ihn in Erfahrung zu bringen.«
»Warum denn?«
»Mein Vater hat jahrelang mit ihm zusammengearbeitet, und ich möchte
gerne wissen, was für ein Mensch er war. Sie kannten ihn doch, oder?«
Erneut hörte Per ausschließlich die Hintergrundgeräusche, bevor die
Antwort kam:
»Ja.«
»Und Sie heißen Fall?«
»Ja, Thomas Fall.« Der Mann klang zurückhaltend. »Woher haben Sie
meine Nummer?«
Per erzählte ihm die Geschichte mit dem Zettel in Bremers
Küchenschrank, und da schien Thomas Fall sich langsam zu entspannen.
»Er hatte ›Cash‹ neben Ihre Nummer
Weitere Kostenlose Bücher