Blutstein
denn?«, fragte der Bestattungsunternehmer.
»So ungefähr?«
»Das weiß ich leider nicht, aber viele werden es nicht.«
Wenn er ehrlich war, fiel ihm niemand ein, den er zur Beerdigung
einladen könnte. Jerrys Verwandte hatten mit ihm vor vielen Jahren gebrochen –
aber vielleicht hatte auch er mit ihnen gebrochen, wer wusste das so genau –,
und im Grunde hatte Jerry ein ebenso einsames Leben geführt wie sein Partner
Hans Bremer.
Aber dann kam Per die Erkenntnis, dass auch er in einem ziemlich
leeren Haus saß. Seine Familie war nicht da, und wie viele echte Freunde hatte
er eigentlich? Wie viele würden zu seiner Beerdigung kommen?
Darüber wollte er jetzt lieber nicht nachdenken.
Eine Viertelstunde später saß er im Auto und verließ Stenvik, konnte
sich aber einen heimlichen Blick zu Vendelas Haus hinüber nicht verkneifen. Er
sah Licht in den hohen Fenstern und fragte sich, was sie wohl gerade machte. Ob
Max zurückgekommen war? Aber er hielt nicht an, um sich danach zu erkundigen.
Randhult war keine Ortschaft so wie Stenvik – es bestand nur aus ein
paar versprengten Höfen inmitten einer Ackerlandschaft, eine halbe Stunde
südlich von Kalmar. Ulrica Ternman hatte ihm gesagt, dass sie in dem einzigen
Backsteingebäude des Ortes lebte. Das war leicht zu finden. Per parkte auf dem
Hofgelände.
Als er ausstieg, empfing ihn ein knatterndes Geräusch, und er
entdeckte einen etwa zwölfjährigen Jungen, der auf dem Kiesweg zwischen den
Gebäuden einen ferngesteuerten Jeep fahren ließ. Der Junge sah kurz auf,
vertiefte sich aber sofort wieder in sein Spiel.
Per stieg die Treppenstufen hoch und klingelte. Eine Frau Mitte
dreißig öffnete die Tür.
Sie war kein blondes Fotomodell. Ulrica Ternman trug kurze braune
Haare, eine ausgeblichene Jeans und ein schwarzes Baumwollsweatshirt.
Per musste automatisch an die Worte seines Vaters denken, die er
über Regina gesagt hatte: Wurde
ein altes Weib. So hatte Jerry die Frauen eingeteilt, in heiße
Bräute und alte Weiber.
»Hallo«, sagte Per und stellte sich vor.
Ulrica Ternman nickte.
»Kommen Sie doch rein.«
Sie ging den Flur hinunter.
»Ist das Ihr Sohn dort draußen?«
»Ja, das ist Hugo«, sagte sie. »Wir haben noch eine Tochter, sie
heißt Hanna. Mein Mann Ulf ist mit ihr heute Abend beim Kinderturnen in der
Stadt. Es ist besser, wenn sie nicht zu Hause sind.«
»Weiß er davon, dass Sie ...?«
Per suchte nach einem passenden Wort. Ulrica Ternman betrachtete ihn
mit einem müden Blick.
»Sie meinen, dass ich schmutzige Sachen gemacht habe?«
»Nein, ich meinte ...«
»Ich habe ihm nie von diesem Modeljob erzählt«, unterbrach sie ihn.
»Aber Ulf weiß, dass ich einige Dummheiten begangen habe, als ich jung war. Das
hat er auch.«
Per zog sich die Jacke aus.
»Und Sie erinnern sich an meinen Vater Jerry?«
Sie nickte.
»Er war ein besonderer Typ Mann, so eine Mischung aus Teddybär und
geiler Sack. Ich bin nicht richtig schlau aus ihm geworden.«
»Das ist wohl niemandem gelungen«, stimmte ihr Per zu.
Ulrica Ternman führte ihn in eine gemütliche Küche und setzte Kaffee
auf.
»Und Jerry Morner ist tot?«
»Er starb vor ein paar Tagen.«
»Und Sie wollen mehr über ihn erfahren?«
»Ja, aber mich interessieren vor allem die Menschen, die mit ihm
zusammengearbeitet haben. Er hatte zum Beispiel einen Partner, der hieß Hans
Bremer.«
»Bremer, ja. Das war der Jüngere von beiden, der hatte alles im
Griff und machte die Fotos.«
Sie verstummte und schien in ihre Gedanken versunken zu sein.
Deshalb wagte Per eine weitere Frage.
»Wie sind Sie eigentlich an den Job bei meinem Vater gekommen?«
Ulrica lachte, aber ihre Augen lächelten nicht.
»Das ist einfach so passiert«, erzählte sie. »Ich habe überhaupt
nicht darüber nachgedacht. Was denkt man schon mit neunzehn? Man entscheidet
von einer Sekunde zur nächsten und tut die Dinge einfach ... In diesem Sommer
hatte mich mein Freund wegen einer anderen verlassen, ich war wütend und
traurig und wahnsinnig sauer auf ihn, das sollte so eine Art Rache sein. Ich
wollte ihm danach die Zeitschrift schicken, aber das habe ich nie getan, ich
habe auch gar keine Zeitschrift bekommen. Aber Geld dafür, bar auf die Hand.«
»War es viel Geld?«
»Fünfzehnhundert, glaube ich. Das war viel Geld mit neunzehn. Ich
hätte dafür mindestens eine Woche lang in einem Pflegeheim arbeiten müssen.«
»Und wie haben Sie von dem Job gehört?«
»Lisa Wegner hatte eine kleine Anzeige in
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