Blutstein
wurde.«
»Erinnern Sie sich an ihn?«
»Er war größer und etwas älter und hatte viel mehr Muskeln«,
erzählte sie. »Größer und stiller, ein bisschen gelangweilt. Man konnte ganz
deutlich sehen, dass er nur einen Job machte. Mein Markus Lukas hatte
wenigstens mit mir geredet, Späßchen gemacht, damit ich mich entspannte. Und er
hat mir hinterher sogar seinen richtigen Namen verraten, Tobias ... Tobias
Jesslin, und er kam aus Malmö.«
Per notierte sich den Namen. Ein Markus Lukas, der Tobias hieß – ein
weiterer echter Name zwischen all den falschen.
»Haben Sie mit Petra noch Kontakt?«, fragte Per.
Ulrica sah ihn irritiert an.
»Kontakt?«, wiederholte sie.
»Ich meine, eine Nummer oder eine Adresse? Ich würde mich gerne mit
ihr unterhalten.«
»Petra ist tot.«
Per sah sie überrascht an.
»Sie starb Anfang der Neunziger. Wir hatten uns da schon aus den
Augen verloren, aber irgendjemand hat es mir erzählt.«
»Woran ist sie denn gestorben?«
»Ich glaube, sie ist krank geworden. Es ist nur ein Gerücht, aber
ich glaube, sie hatte Krebs.«
Per sah in seinen Kaffeebecher, er wollte das Wort nicht hören.
»Wie traurig«, sagte er.
»Ja, und bei Madde war es genauso schrecklich. Eigentlich sogar
schlimmer.«
»Madde?«
»Madeleine Frick. Sie war auch eine Klassenkameradin von mir. Sie
ist nach der Schule nach Stockholm gezogen, aber nur wenige Jahre später hat
sie sich vor einen Zug geworfen.«
Per sog leise die Luft ein und fragte:
»Hat sie auch für meinen Vater gearbeitet?«
Ulrica Ternman nickte.
»Ja, davon gehe ich aus. Ich habe natürlich weder Fotos noch Filme
je gesehen, aber als wir uns einmal im Sommer trafen, erzählte sie, dass auch
sie fotografiert und gefilmt worden war. ›Mit dem großen oder dem athletischen
Typen?‹, habe ich sie nur gefragt. ›Dem großen‹, war ihre Antwort, und danach
haben wir nie wieder darüber geredet.«
Per dachte nach. Von den vier Mädchen, die in Jerrys Studio gefilmt
worden waren, lebten nur noch zwei.
Plötzlich wurde eine Tür aufgerissen.
»Mama?«, rief eine Jungenstimme.
»Ich komme!«
Per wollte nur eine letzte Frage stellen:
»Wie geht es Ihnen heute damit?«
»Ach, es ist okay. Getan ist getan. Wenn man in seiner Jugend
Dummheiten begangen hat, bereut man sie, und wenn man keine begangen hat,
bereut man es auch. Stimmt doch, oder?«
Klar ,
dachte Per, wenn man es
überlebt .
Aber er sagte es nicht laut.
Während er vom Hof fuhr, dachte er an Ulrica Ternman und dann an
Regina. Was machte er hier eigentlich? Versuchte er noch immer, Mädchen zu
retten, die gar nicht gerettet werden wollten?
Am nächsten Rastplatz hielt er an und rief die Auskunft an.
Es gab zwei Einträge für Tobias Jesslin, der eine wohnte in Mora,
der andere in Karlskrona.
Karlskrona lag näher, deshalb wählte Per diese Nummer zuerst.
Nach drei Klingelzeichen nahm eine zwitschernde Mädchenstimme den
Hörer ab:
»Hallo, hier ist Emilie!«
Das brachte Per aus dem Konzept, er fragte nur rasch nach Tobias
Jesslin.
»Papa ist nicht zu Hause, wollen Sie mit Mama sprechen?«
»Ja, okay.«
Es raschelte im Hörer, dann ertönte eine gestresste Frauenstimme:
»Hallo, hier ist Katarina!«
»Guten Tag, mein Name ist Per Mörner. Ich würde gern mit Tobias
sprechen.«
»Er ist bei der Arbeit.«
»Wo arbeitet er denn?«
»Honolulu.«
»Wie bitte?«
»Im Restaurant Honolulu. Wer sind Sie denn?«
»Ich bin nur ein alter Kumpel. Wir haben so lange nichts mehr
voneinander gehört. Tobias hat doch früher mal in Malmö gewohnt, oder?«
Die Frau zögerte einen Moment.
»Ja, er hat mal in Malmö gelebt.«
»Gut, dann ist er der Richtige. Wann kommt er denn nach Hause?«
»Seine Schicht endet gegen elf, aber Sie können ja im Honolulu
anrufen.«
»Oder ich fahre einfach vorbei. Könnten Sie mir eventuell die
Adresse geben?«
Er bekam sie und beendete das Gespräch. Nun überlegte er, was er tun
sollte. Es war kurz vor sieben, und er würde mindestens eine Stunde brauchen,
um nach Karlskrona zu fahren.
Er startete den Wagen. Per wollte Tobias Jesslin einen Besuch
abstatten, jenem Mann, der früher Markus Lukas genannt worden war.
56
V endela
war den gesamten Dienstag mit der Gartengestaltung beschäftigt. Noch vor dem
Mittagessen hatte sie Efeu, Buchsbäume und eine lange Reihe von
Fliedersträuchern gepflanzt, die Schatten spenden sollten. Den Nachmittag verbrachte
sie dann damit, Säcke mit Pflanzenerde und Platten aus Kalkstein in den
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