Blutstein
Sommer werden wir dort baden, du,
Nilla und ich. Das wird super.«
»Aber ich habe hier keine Badehose dabei«, wandte Jesper ein.
»Dann kaufen wir dir eine.«
Die Zwillinge hatten je ihr eigenes kleines Zimmer links von der
Küche. Und Jesper trug seinen Rucksack auch gleich in seins.
Per blieb einen Augenblick lang in dem kleinen Zimmer direkt hinter
der Küche stehen. Von dort hatte man einen Blick auf den nördlichen Teil des
Steinbruchs und den eisbedeckten Sund. Dieser Raum sollte in den Sommermonaten
sein Arbeitszimmer werden.
Sollte er in zwanzig oder dreißig Jahren noch leben, würde dieses
Häuschen noch immer ihm gehören, da war er sich ganz sicher. Und seine Kinder
könnten, so oft sie wollten, ihre Ferien hier verbringen.
Während Per in seinem Schlafzimmer die Koffer auspackte, ertönte
plötzlich ein Klingeln. Es kam von dem alten Telefon – sekundenlang konnte er
sich nicht erinnern, wo es stand. Das Klingeln schien aus der Küche zu kommen.
Das Telefon stand auf der Küchenbank neben der Spüle und war ein
Modell aus schwarzem Bakelit mit Wählscheibe. Per hob den Hörer ab.
»Mörner.«
Er erwartete Marika am anderen Ende der Leitung oder die kraftvolle
Stimme eines Arztes, der Neuigkeiten über Nilla zu berichten hatte, aber er
hörte gar nichts. Es rauschte nur in der Leitung, die Verbindung zum Festland
war schlecht.
Dann hustete der Anrufer, und danach hörte Per eine leise und
kraftlose Stimme – die eines alten Mannes:
»Pelle?«
»Ja?«
»Pelle ...«
Per zögerte mit seiner Antwort. Seit dem Tod seiner Mutter gab es
nur noch einen einzigen Menschen, der ihn Pelle nannte. Außerdem hatte er die
heisere Stimme seines Vaters sofort wiedererkannt. Tausende von Zigaretten und
viele durchfeierte Nächte hatten ihre Spuren hinterlassen. Im letzten Frühjahr
hatte Jerry einen Schlaganfall erlitten, und seitdem klang seine Stimme sehr
undeutlich, und er wirkte abwesend und verwirrt. Jerry konnte sich an Namen
erinnern und zum Beispiel auch an Telefonnummern – er rief Per mindestens
einmal pro Woche an –, aber sein Wortschatz hatte unter der Krankheit gelitten.
Per hatte von seiner Wohnung in Kalmar eine Rufumleitung ins Sommerhaus
veranlasst, trotz des Risikos, dass Jerry ihn auch dort erreichen würde.
»Wie geht es dir, Jerry?«, fragte er schließlich.
Sein Vater zögerte, Per hörte ihn an der Zigarette ziehen und
inhalieren. Daraufhin musste er erneut husten, dann senkte er seine Stimme:
»Bremer«, er flüsterte fast.
Per kannte den Namen. Hans Bremer war Jerrys Assistent und Mädchen
für alles gewesen. Per hatte ihn niemals persönlich kennengelernt, aber ganz
offensichtlich hatten Jerry und dieser Bremer ein besseres Verhältnis, als er
zu seinem Vater.
»Ich habe jetzt keine Zeit, mit dir zu reden«, sagte Per. »Meine
Kinder sind zu Besuch.«
Sein Vater gab keine Antwort, er suchte nach Worten. Aber Per hatte
keine Lust zu warten.
»Wir sprechen später, bis dann.«
Vorsichtig legte er den Hörer auf die Gabel und ging zurück in sein
Schlafzimmer.
Zwei Minuten später klingelte es erneut.
Das überraschte ihn überhaupt nicht. Warum hatte er bloß diese
Rufumleitung eingerichtet?
Als er den Hörer abnahm, war tatsächlich wieder dieselbe Stimme am
anderen Ende:
»Pelle? Pelle?«
Per schloss genervt die Augen.
»Was gibt es denn, Jerry? Kannst du mir bitte sagen, warum du
anrufst?«
»Markus Lukas.«
»Wer?«
Jerry räusperte sich und gab eine unverständliche Antwort. Per
verstand nur »der Teufel«, war sich aber nicht sicher. Es klang, als hätte
Jerry eine Zigarette im Mundwinkel.
»Wovon sprichst du, Jerry?«
Er bekam keine Antwort. Per drehte sich um und sah aus dem
Küchenfenster hinunter in den Steinbruch, der menschenleer vor ihm lag.
»Muss Bremer helfen«, stieß sein Vater plötzlich hervor.
»Warum das denn?«
»Helfen gegen Markus Lukas.«
Dann wurde es wieder still in der Leitung. Per ließ den Blick zum
Wasser wandern und weiter bis zu dem schwarzen Strich am Horizont, dem
Festland. Markus Lukas? Er war der Meinung, dass er den Namen schon einmal gehört hatte, vor langer
Zeit.
»Wo bist du, Jerry?«
»Kristianstad.«
Jerry hatte die letzten fünfzehn Jahre in Kristianstad gelebt, in
einer verräucherten Dreizimmerwohnung an der Eisenbahntrasse.
»Sehr gut«, sagte Per. »Bleib, wo du bist.«
»Nein«, erwiderte Jerry gepresst.
»Warum?«
Sein Vater schwieg.
»Wo willst du denn hin?«, fragte Per.
»Nach Ryd.«
Per
Weitere Kostenlose Bücher