Blutstein
Hitze
drückte ihn zurück.
Per blinzelte in den Rauch und versuchte, Details zu erkennen. Lag
da ein brennender Körper unter den Decken? Er meinte, ausgestreckte Arme zu sehen,
Hosenbeine und einen verkohlten Kopf ...
Seine Augen tränten, die Lunge brannte. In diesem Augenblick hörte
er den Schrei.
Das war kein Wort, nur ein lang gezogener, gellender Schrei. Es
klang wie eine Frauenstimme und war grauenerregend.
Per ließ den Regenschirm fallen und rannte halb blind zurück in den
Flur. Der Schrei war aus diesem Stockwerk gekommen – aber er hatte gedämpft
geklungen, wie durch eine Wand hindurch.
Alle übrigen Türen waren verschlossen, aber am Ende des Ganges
bemerkte Per eine Veränderung. Auf dem Teppichboden hatte sich ein helles,
flackerndes Flammenfeld gebildet, mittlerweile brannte der gesamte erste Stock.
Er war vom Feuer eingeschlossen.
»Hallo! Ist da jemand?«, schrie er.
Als Antwort hörte er einen weiteren Schrei der Frauenstimme, noch
gedämpfter als zuvor.
Für einen Moment blieb er reglos stehen, unentschlossen, ehe er zur
nächsten Tür lief. Sie war abgeschlossen, und er hämmerte gegen das Holz.
Zahllose Türen, aber keine Antwort.
»Hallo? Wo sind Sie?«
Er wollte die Tür aufbrechen, die Frau finden, ihr helfen. Aber der
Qualm wurde immer dichter, und er sah die Hand nicht mehr vor Augen. Das Feuer
näherte sich von zwei Seiten, es knisterte und prasselte, die Luft war beißend.
Per wusste, dass der Weg über die Treppe versperrt war, auch das Erdgeschoss
stand in Flammen.
Die Wände schienen ihn zwischen sich zerdrücken zu wollen. Er bekam
keine Luft mehr.
Ihm blieb keine Zeit, er musste zurück.
Vorsichtig tastete er sich durch den undurchdringlichen Rauch und
stand plötzlich wieder in dem Zimmer mit dem brennenden Bett. Er spürte einen
leichten Luftzug und entdeckte, dass das einzige Fenster in dem abgedunkelten
Raum angelehnt war, und durch den Spalt drang Tageslicht herein. Unter dem
Fenster stand ein Stuhl.
Er würde es bis zum Fenster schaffen, wenn er sich links an der Wand
hielte, wo der Qualm nicht so dicht war. Denn die Flammen hatten bereits
begonnen, vom Bett hinunter und über den Boden zu kriechen, der Rauch wurde
unerträglich.
Er bekam keine Luft mehr, er musste hier raus, sofort.
Mit drei Schritten war Per am Fenster, stieg auf den Stuhl und sah
hinaus. Vor ihm lagen Felder und dichter Nadelwald.
Etwa zwei oder drei Meter unter dem Fenstersims lag die Garage mit
einem Dach aus Teerpappe.
Die frische Luft strich ihm übers Gesicht, während die Hitze des
Feuers ihn förmlich aus dem Fenster schob.
Als würde er mit dem Rücken am Ofen eines Krematoriums stehen. Er
zögerte keine Sekunde, stieg auf das Fensterbrett, machte einen Schritt in die
Luft und sprang.
Mit einem harten Aufprall landete er auf dem Garagendach, die
Holzbalken schwankten unter ihm, aber sie hielten seinem Gewicht stand.
Von dort sprang er hinunter auf den Kiesweg. Noch einmal drei Meter
– ein kurzer, schwindelerregender Fall, der Kies sauste ihm entgegen –, dann
prallte er auf, seine Knie gaben nach.
Per hustete, erhob sich mühsam und sog gierig die frische, kühle
Luft in die Lunge. Er war auf der Rückseite der Villa gelandet. Vor ihm stand
ein Zaun, dahinter erstreckte sich eine Wiese mit gelbem Gras, die in einen
dichten Nadelwald überging.
Auf dem Weg, der in den Wald hineinführte, in etwa zweihundert
Metern Entfernung, stand eine Gestalt und sah zum Haus herüber. Per meinte
einen Mann in dunkler Kleidung zu erkennen – aber mehr konnte er nicht ausmachen,
denn da drehte sich die Gestalt um und verschwand zwischen den Bäumen.
Das Feuer dröhnte und prasselte laut hinter ihm, dennoch hatte Per
den Eindruck, einen Motor zu hören. Das Geräusch eines Automotors, der
angelassen wurde, beschleunigte und dann im Wald verschwand.
14
A ls
die Fensterscheiben von Jerrys Anwesen zerbarsten und wie Eissplitter
herunterregneten, wurde Per von einer plötzlichen Übelkeit befallen, obwohl er,
weit genug entfernt, auf der anderen Seite des Kiesweges stand. Er atmete
unablässig die frische Luft in seine schmerzende Lunge ein, rieb sich die
brennenden Augen und versuchte breitbeinig und stabil zu stehen.
Schwarzer Rauch quoll aus den glaslosen, gähnenden Fenstern und
umhüllte das Haus. Niemand konnte dieses Inferno überlebt haben.
Ein Schleier hatte sich zwischen ihn und den Rest der Welt gelegt,
in weiter Ferne hörte er die gedämpften Geräusche der
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