Blutstein
und Geld schien den Hof gekauft zu haben.
Vor dem Haus erstreckte sich ein großes Rasenstück. Darauf konnte
man eine rechteckige Erhebung im Gras erkennen. Vor vierzig Jahren hatte dort
ein kleiner Kuhstall gestanden, aber den gab es nicht mehr. Gras und Moos
hatten das Fundament bedeckt.
Zum Schein ging sie zum Haus und klopfte an, aber niemand kam und
öffnete die Tür. Der Bauernhof war wie so viele andere zu einem Sommerhaus
umgebaut worden, mit wucherndem Rasen und zugezogenen Gardinen. Vermutlich
stand auch dieses Haus von Herbst bis Frühling leer.
Sie stellte sich die Familie vor, die bald anreisen und sich gleich
daranmachen würde, die Spuren des Winters zu beseitigen. Schon am ersten Abend
würden alle im Garten stehen und Laub harken und den Rasen mähen. Junge und
sorgenfreie Menschen, vielleicht hatten sie sogar Kinder. Aber: Spürten sie
auch das Echo des Unglücks, das einst in diesem Haus geschah?
Am hinteren Ende des Gartens entdeckte sie einen kleinen Schuppen.
Er stand im Schatten der Bäume und passte so gar nicht zum Rest der gepflegten
Freizeitidylle. Er war heruntergekommen und schief, als würde er bald im Boden
versinken.
Sie lief quer durch den Garten, dort gab es noch einzelne
Schneeflecken, der Boden war feucht wie in der Marsch.
Der Verschlag lag versteckt zwischen den Bäumen und sah aus, als
wäre er von der Welt vergessen worden. Vendela fiel wieder ein, dass ihr Vater
ihn als Geräteschuppen verwendet hatte. Die Werkzeuge, die er nicht abends im
Steinbruch zurückließ, nahm er mit und schloss sie darin ein.
Vendela zog an der klapprigen Tür, die sich in ihren müden
Scharnieren knarrend öffnen ließ. Anders als erwartet, schlug ihr kein modriger
Gestank entgegen, nur ein schwacher Geruch von Erde.
Es war dunkel im Schuppen, dunkel und eng. Alte Werkzeuge und
Taschen standen übereinandergestapelt. In der Ecke neben der Tür lehnte ein
schmaler, entrindeter Kastanienstock. Vendela erkannte ihn sofort wieder. Sie
zögerte zunächst, griff aber dann danach.
Der Kuhstock.
Das war ihrer. Sie hatte ihn von ihrem Vater Henry bekommen, um
damit die Kühe auf die Weide zu treiben.
Der Stock war blank poliert und schien häufig in Gebrauch zu sein.
VENDELA UND DIE ELFEN
D ie
Fliegen surren faul und schläfrig über den Pfad, die Frühlingssonne hat sie
geweckt. Der Wind rauscht durch die Laubbäume, und Vendela hebt den Kuhstock
und schlägt auf die drei Tiere vor ihr ein, immer und immer wieder.
»Geh! Los, bewegt euch!«
Sie ist barfuß, trägt ein weißes Kleid und drischt auf die Kühe ein,
so hart sie kann. Jede bekommt drei Schläge. Sie zielt, holt aus und trifft mit
dem Stock oberhalb der Hüfte. An dieser Stelle klingt es wie smack! . Weiter vorne
am Bauch ist das Geräusch dumpfer, da klingt es nach smock!.
Die Schläge ertönen in rhythmischen Abständen auf der Strecke
zwischen der Wiese und dem Hof, wo sie zusammen mit Henry und dem Invaliden
wohnt.
»Geh! Los! Geh!«
Die Glocke an dem Band um den Hals der Leitkuh läutet ebenfalls
rhythmisch. Es ist warm und ziemlich anstrengend, die ganze Zeit zu schlagen,
Vendela ist auch erst neun, und der Stock wird immer schwerer. Sie schwitzt.
Der Stoff ihres Kleides klebt unter ihren Armen, die Haare hängen ihr ins Gesicht,
und die dicken Schmeißfliegen surren um sie und die Kühe herum. Sie spuckt in
das frische Gras und hebt den Stock wieder hoch.
»Los, geh!«
Mit ihrem achten Geburtstag bekam Vendela die Aufgabe übertragen,
die Kühe von der Weide zurück zum Hof zu treiben. Das war eine richtige Arbeit,
allerdings war nie die Rede davon, dass sie dafür Geld bekommen sollte – ihr
Vater hat noch nicht einmal genug Geld für Strom, obwohl die Kabel vor Jahren
schon bis zum Hof verlegt worden waren.
Ihre Bezahlung für die Arbeit bestand darin, dass sie den Kühen
Namen geben durfte. Und sie nannte sie Rosa, Rosa und Rosa.
Diese Entscheidung brachte ihren Vater zum Lachen.
»Wir können genauso gut jeder von ihnen eine Nummer geben«, hatte er
vorgeschlagen.
Für Vendelas Vater hatten die Namen der Kühe keine Bedeutung – er
hatte alle drei mit einem deutlich sichtbaren Schnitt im Ohr markiert, sodass
jeder, der ihnen in der Alvar begegnete, sofort sehen konnte, dass die Tiere
ihm gehörten. Aber er schien dennoch Gefallen an dieser Namensgebung gefunden
zu haben, denn er behielt die Namen bei.
Rosa, Rosa und Rosa.
Vendela fand das überhaupt nicht komisch. Für sie spielte es keine
Rolle, wie die
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