Blutstein
gegenüber schweigen, Jerry ... Und du
wirst ihnen kein Sterbenswörtchen davon erzählen, welche Geschäfte du mit
Bremer hier getrieben hast.«
15
V endela
trug eine weiße Baseballkappe und eine rote, winddichte Trainingsjacke, als sie
sich im Flur zum Hundekorb hinunterbeugte und Aloysius hinter den Ohren
kraulte. Dann ging sie zur Eingangstür.
»Ich gehe jetzt joggen!«, rief sie. »Bis später!«
Sie erhielt keine Antwort von Max, nur Aloysius jaulte auf. Er war
unruhig, vielleicht ahnte er bereits, dass ein Fest bevorstand. Seit er kaum
noch etwas sehen konnte, stressten ihn fremde Geräusche.
Sie würden auf dem Nachbarschaftsfest am Mittwoch rund zehn Personen
sein: Max und sie, das Ehepaar Kurdin mit Baby, Per Mörner und seine beiden
Kinder und dann der alte Mann von der anderen Straßenseite, Gerlof Davidsson,
sowie sein Freund John Hagman. Sie würde gar nicht so viel für das Büfett
vorbereiten müssen. Morgen würde sie nach Borgholm fahren und die Lebensmittel
einkaufen, inklusive Hundefutter.
Aber heute wollte sie joggen gehen. Vendela joggte schon seit zehn
Jahren. Sie hatte damit direkt nach der Heirat mit Max angefangen, obwohl der
es weder selbst ausprobieren wollte noch verstand, was sie daran fand. Letzten
Winter hatte sie ihre Kondition auf dem Laufband trainiert, aber die Bewegung
in der Natur hatte ihr gefehlt.
Draußen auf der Treppe beugte sie sich nach vorn und dehnte ihre
Beine, bevor sie loslief, in einem weiten Bogen um den Steinbruch herum.
Im Norden des Steinbruchs entdeckte sie eine sonderbare Pforte –
zwei dicke Haselnusssträucher wuchsen in ein paar Metern Abstand zueinander.
Sie sprang in der Mitte hindurch. Der Haselnussstrauch hatte von jeher eine
besondere Bedeutung, die Äste wurden sowohl für magische Stöcke als auch für
Wünschelruten verwendet.
Jetzt war sie wie in einer neuen Welt, fand sie. Ihr Ziel war es,
nach über vierzig Jahren zu dem Ort ihrer Kindheit und ihrer Familiengeschichte
zurückzukehren – wenn es ihr gelang, ihn wiederzufinden. Vieles hatte sich seit
dieser Zeit verändert. Häuser waren gebaut, Straßen asphaltiert worden, und
Wiesen und Felder waren zum Teil völlig zugewachsen.
Sie beschleunigte ihr Tempo und lief auf der Küstenstraße entlang
des Strands. Es war später Nachmittag, und die Sonne stand so tief wie im
Oktober – aber ihr Licht zeichnete jetzt im Frühling die Natur um sie herum
wesentlich kontrastreicher und schärfer. Und bald würde sie die schmalen
Streifen aus Schnee geschmolzen haben, die sich nach wie vor an manchen Stellen
im Gras und in den Gräben hielten.
Die steinerne Landschaft, durch die Vendela lief, lag still und
reglos vor ihr. Nur sie allein bewegte sich, ihre Arme und Beine pendelten vor
und zurück. Langsam fand sie ihren Laufrhythmus und konnte sich entspannen. Als
die Küstenstraße sich teilte, bog sie nach rechts ins Landesinnere ab.
Die Luft, die sie einsog, war frisch und kühl. Ihre Allergie hatte
sich bisher nicht gemeldet.
Es dauerte etwa zwanzig Minuten, um den Ort zu erreichen, an dem
ihre Kindheit gleichsam begann und endete. Sie hatte ihn ohne weitere
Schwierigkeiten gefunden, war kein einziges Mal vom Weg abgekommen. Das erste
Stück lief sie einen breiten Asphaltweg entlang, dann bog sie in einen
schmaleren Kiesweg, den sie wiederzuerkennen meinte, dann vorbei an einem
kleinen Eschenwald, der in den Jahren, seit sie die Insel verlassen hatte, zu
einer dichten und hoch aufragenden Baumgruppe gewachsen war.
Durch diesen Wald führte ein schmaler, kurzer Kiesweg, in den sie
einbog. Ihr war warm, sie schwitzte in ihrem Trainingsanzug und war voll
gespannter Erwartung.
Nach etwa fünfzig Metern endete der Weg, und sie hatte den Hof
erreicht. Nach einer kurzen Pause hatte sich ihr Atem beruhigt und sie sich
gesammelt.
Der Hof lag ziemlich einsam, am Rand der Großen Alvar, ein paar
Kilometer nordöstlich von Stenvik. Das Gartentor vor dem Steinplattenweg hatte
zwei neue, weiß gestrichene Türen bekommen. Sie sah niemanden auf dem
Grundstück, deshalb drückte sie das Tor auf.
Die Sonne stand schon so tief, dass der Hof vor ihr im Schatten lag.
Aber die Sonnenstrahlen erreichten noch das Wohnhaus, und die Fenster im ersten
Stock leuchteten im Licht.
Vendela hatte befürchtet, der Hof könnte verlassen und verfallen
sein, mit zerborstenen Scheiben und lose hängenden Türen, aber das Haus war
sehr gepflegt und vor Kurzem erst mit gelber Ölfarbe gestrichen worden. Jemand
mit Zeit
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