Blutstein
Aufzeichnungen
fort:
Elfen sind eher
spirituelle als physische Wesen, sie haben verstanden, dass die Verherrlichung
des Körperlichen nicht gut ist. In der Seele gibt es ausreichend Liebe für die
ganze Welt, im Körper hingegen existiert nur die Begierde. Und wenn die
Begierde an die Macht kommt, entsteht ein Kampf zwischen Körper und Seele, den
meistens die Seele verliert.
Wir Menschen
verlieren leicht die Kontrolle über unseren Körper, weil wir so viel mit ihm
erreichen wollen, Elfen versuchen das erst gar nicht. Während wir uns in diesem
Teufelskreis drehen, ohne ihm entkommen zu können, spielen die Elfen
ausgelassen auf den Wiesen.
Vendela registrierte eine Bewegung aus dem Augenwinkel und hielt
inne. Sie drehte sich um.
»Ach, hallo, Ally«, rief sie.
Aloysius kam in die Küche getapst – ohne sich die Nase am Türrahmen
zu stoßen, wie es ihm sonst in letzter Zeit so oft passierte. Vorsichtig kam er
auf sie zu, langsam, aber zielsicher.
»Wie geht es dir?«, fragte Vendela und lächelte ihn an. »Frohe
Ostern, mein Schatz.«
Der Pudel setzte sich bedächtig auf den Küchenfußboden, die steifen
Vorderläufe weit gespreizt.
»Du bekommst heute Abend auch ein paar Leckerli, freust du dich?«
Der Hund leckte sich über die Nase und sah Vendela an.
Es war unglaublich, aber Aloysius sah sie direkt an. Sein Blick wirkte fokussiert,
er konnte sie tatsächlich sehen. Sie machte einen Schritt zur Seite und beobachtete,
wie seine Augen ihrer Bewegung folgten.
Vendela ließ den Stift fallen und lief los. Sie stürmte zu Max’
Arbeitszimmer und ließ sich nicht von der verschlossenen Tür abhalten:
»Max, er kann wieder besser sehen!«, rief sie und hämmerte gegen die
Tür. »Allys Augen sind wieder besser geworden. Max, komm raus und sieh dir das
an!«
32
D ie
Enkelkinder hatten den ganzen Ostersamstag über hart gekochte Eier mit
Wasserfarben bemalt. Es gab gelbe Eier mit blauen Rändern und rote Eier mit
grünen Punkten – aber die meisten hatten so viele Farbschichten erhalten, dass
sie grau und schwarz waren.
Gerlof aß ein paar davon mit viel Salz und Kaviar, am liebsten aber
nahm er sich Hering in Kräutersoße mit Kartoffeln und Knäckebrot. Dazu trank er
ein paar Schnäpse, gewürzt mit Wermutkraut, das man unten am Strand pflücken
konnte. Zufrieden bemerkte er, dass sonst niemand am Tisch Alkohol trank. Umso
besser.
In den vergangenen Jahren hatte er sich um seine jüngste Tochter
Julia immer wieder Sorgen machen müssen, aber an diesem Abend hatte sie nur
Milch in ihrem Glas.
Nach dem Essen und den Schnäpsen fühlte sich Gerlof so wohl, dass er
anfing zu erzählen, wie einfach und ärmlich das Leben auf der Insel früher
einmal gewesen war.
» Brennsuppe ,
weiß einer von euch, was das ist?«
Die Enkelkinder schüttelten den Kopf.
»Das war ein besonderes Gericht, das man an Samstagen aß«, erzählte
Gerlof. »Das Rezept war einfach: Man nahm die Essensreste der vergangenen
Woche, die in einem Holzgefäß gesammelt wurden, dann salzte man sie ordentlich
und kochte alles mit einer Mehlschwitze auf. Und dann wurde das gegessen. Von
der ganzen Familie!«
Julia schüttelte den Kopf.
»Du hast doch im Leben nie Brennsuppe essen müssen, Papa! So arm
wart ihr nicht!«
Gerlof runzelte die Stirn.
»Ich spreche von meinem Großvater, er bekam diese Mehlsuppe, als er
klein war. In meiner Kindheit war es aber auch schlimm genug. Wir hatten keinen
Wasserhahn, jeden Tropfen Wasser mussten wir aus dem Brunnen im Hof
hochpumpen.«
»An die Pumpe kann ich mich auch erinnern«, sagte Lena, »die hatten
wir auch noch in den Sechzigerjahren. Ich fand immer, dass Brunnenwasser besser
schmeckte als das Wasser aus dem Hahn.«
»Ja«, stimmte Gerlof ihr zu, »aber manchmal war es zu braun, dann
musste man so lange pumpen, bis es wieder klar wurde. Und wir hatten auch keine
Toilette, nur ein Plumpsklo mit einem Eimer, den man in eine große Grube
entleeren musste, wenn er voll war. Es spritzte gegen die Beine, wenn man nicht
vorsichtig genug war, und wenn man stolperte, dann ...«
Lena legte geräuschvoll ihre Gabel auf den Teller.
»Wir essen doch noch, Papa.«
»Ja, schon gut«, lenkte Gerlof ein und zwinkerte seinen Enkelkindern
zu. »Aber im Frühling war es genau umgekehrt. Dann hatten wir zu viel Wasser.
In der Alvar bildeten sich zum Teil richtige Seen ... Ich erinnere mich, dass wir
in ihnen gebadet haben. Mein Bruder Ragnar und ich haben einmal eine alte
Blechwanne gefunden, auf der
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