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Blutstein

Blutstein

Titel: Blutstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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haben wir ein Laken als Segel gehisst und das
Schiff im Frühlingsfluss zu Wasser gelassen.« Er lachte laut auf. »Das hat
ordentlich Tempo bekommen und ist dann umgekippt. Das war meine erste
Schiffshavarie.«
    »Gab es damals schon Autos?«, fragte eines der Enkelkinder.
    »Klar«, sagte Gerlof. »Autos gab es schon in meiner Kindheit. Die
kamen sehr bald auf die Insel, noch vor der Elektrizität. Autos gab es hier
sogar vor dem Ersten Weltkrieg, aber einige Höfe haben erst in den Vierzigern
Stromanschlüsse bekommen. Andere wollten gar keine, es kostete ja auch viel
Geld. Man hat sich mit Petroleumlampe beholfen, solange es ging.«
    »So hattet ihr wenigstens keine Probleme bei Stromausfall«, warf
Julia ein.
    »Ja, aber wenn mal ein Gewitter aufzog, rannten alle in Todesangst
aus den Häusern und setzten sich in ihre Autos, bis es vorbei war. Wir hatten
Schwierigkeiten, uns an die Elektrizität zu gewöhnen.«
    Als fast alle Eier gegessen waren, standen die Enkelkinder vom Tisch
auf, und es wurde bedeutend ruhiger im Raum.
    Gerlof blieb mit seinen Töchtern zurück.
    Er wollte ihnen etwas sagen, es fühlte sich fast wie ein Geständnis
an.
    »Ich habe übrigens angefangen, Mamas Tagebücher zu lesen.«
    »Die liegen auf dem Dachboden, oder?«, fragte Julia.
    »Nein, die lagen in einem Küchenschrank. Wollt ihr sie auch lesen?«
    »Lieber nicht«, sagte Julia.
    Auch Lena schüttelte den Kopf.
    »Ich habe sie dort auch liegen sehen, aber nie angerührt. Das ist
viel zu intim. Wollte sie die nicht verbrennen? Ich meine mich erinnern zu
können, dass ...«
    »Verbrennen? Davon habe ich nichts gewusst«, unterbrach sie Gerlof.
Er wollte sein ohnehin schon schlechtes Gewissen nicht noch verstärken, also
sagte er mit fester Kapitänsstimme: » Ich lese sie auf jeden Fall. Das Lesen
von Tagebüchern ist nichts Unrechtes.«
    Es wurde still am Tisch. Gerlof nahm noch ein schwarz bemaltes Ei
aus der Schüssel und begann es zu schälen:
    »Sie beschreibt merkwürdige Wesen, die sie hier besucht haben,
wusstet ihr davon? Das steht so in ihren Tagebüchern.«
    Die Töchter sahen ihn fragend an.
    »Hat sie Wichtelmänner gesehen?«, fragte Julia. »So wie Großmutter?«
    »Nein, keine Wichtelmänner. Ella schreibt von einem ›Kerlchen‹, das
sie ab und zu im Sommerhaus besuchte, wenn sie alleine hier war. Zuerst dachte
ich, sie hatte einen heimlichen Verehrer aus der Stadt, während ich zur See
fuhr ...«
    »Niemals!«, unterbrach Julia.
    »Das glaube ich eigentlich auch nicht.« Gerlof sah nachdenklich aus
dem Fenster auf die Wiese und die Büsche hinter seinem Grundstück. »Aber ich
frage mich, wen oder was sie da gesehen hat. Mir gegenüber hat sie nie etwas
erwähnt. Wusstet ihr davon?«
    Julia schüttelte den Kopf. Sie schälte ihr letztes gekochtes Ei und
sagte:
    »Mama mochte es ja gern ein bisschen geheimnisvoll ... sie konnte auch
sehr gut schweigen.«
    »Vielleicht war es ja ein Troll aus dem Steinbruch«, schlug Lena vor
und lachte. »Ernst hat doch immer davon erzählt.«
    Gerlof lachte nicht.
    »Dort gibt es keine Trolle.«
    Er erhob sich langsam vom Tisch, seine Töchter streckten ihm sofort
ihre Hände entgegen, aber er wollte keine Hilfe haben.
    »Es geht schon, vielen Dank. Ich werde jetzt bald zu Bett gehen. Ihr
habt aber die Ostermesse morgen früh nicht vergessen, oder?«
    »Wir bringen dich zur Kirche«, versicherte Lena.
    »Gut.«
    Gerlof musste zum Glück mit niemandem sein Zimmer teilen. Er zog die
Tür hinter sich zu und zog sich seinen Schlafanzug an, obwohl es erst neun Uhr
war. Aber er wusste, dass er tief und fest schlafen würde, auch wenn alle
anderen noch wach waren und vor dem Fernseher saßen. Er hörte ihr Lachen und
die hohen Stimmen und schloss die Augen.
    Die Lebhaftigkeit der Enkelkinder von morgens bis abends raubte ihm
seine Kräfte. Wie würde das erst werden, wenn die Sommerferien begannen? Er
musste die Frühlingsruhe genießen, solange sie anhielt.
    33
    A lly?«,
rief Max. »Ally, hierher, sieh mich an.«
    Max saß in einem Sessel im Wohnzimmer und beugte sich vor. Der
kleine Pudel hockte am anderen Ende des Raumes auf Vendelas Schoß und
schnupperte in die Richtung, aus der die Stimme kam.
    »Aloysius? Kannst du mich sehen?«
    Vendela flüsterte ihm ins Ohr:
    »Ally, siehst du das Herrchen?«
    Der Hund winselte leise und nahm auch eine Witterung auf, aber er
schnupperte in unterschiedliche Richtungen.
    Max seufzte.
    »Er kann mich nicht sehen, Vendela. Sein Gehör und sein

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