Blutstein
Gerlof Davidsson darüber unterhalten, und er
erzählte mir, dass es sich dabei um eine geologische ...«
»Ich will das gar nicht wissen«, unterbrach ihn Vendela.
»Warum denn nicht?«
»Das nimmt etwas weg ... das zerstört die Magie.«
Sie schwiegen, nur das Geräusch der Schuhe auf dem Boden und Pers
tiefe Atemzüge waren zu hören. Plötzlich bog Vendela auf einen kleineren
Kiesweg nach Osten ab, der auf die Landstraße führte. Sie war einem Impuls
gefolgt, und Per lief hinterher.
»Wo wollen Sie denn hin?«
»Ich möchte Ihnen etwas zeigen«, sagte sie und lief zügig weiter.
Sie führte ihn auf den Weg zu ihrem Elternhaus und hielt dann am
Gartentor an. Eine Woche war seit ihrem letzten Besuch vergangen, das Gras war
gewachsen und leuchtete noch grüner, aber das Haus war leer. Und auch der Volvo
stand nicht auf dem Hof. Die glückliche Familie, die jetzt hier im Sommer
wohnte, war wieder in die Stadt zurückgekehrt.
Auch Per blieb stehen und verschnaufte, dann sah er sich neugierig
um.
»Wo sind wir hier?«
Vendela öffnete das Gartentor und sagte:
»Hier hört man meine
Kindheit rauschen.«
»Ach wirklich?«
»Na ja, so hat es Gustav Fröding in einem Gedicht formuliert, aber
es stimmt tatsächlich, ich bin hier aufgewachsen«, sagte Vendela und betrat den
Garten.
Per zögerte eine Sekunde, ehe er ihr folgte.
»Wie war das denn, hier zu leben?«, fragte er. »Hatten Sie eine
fröhliche Kindheit?«
Vendela schwieg, sie wollte nicht so viel von sich erzählen. Und sie
wollte möglichst nicht an die Kühe denken müssen.
»Es war ziemlich einsam«, gestand sie schließlich. »Meine Freunde
lebten alle in Marnäs. Ich hatte nur meinen Vater zur Gesellschaft, und dann
hatte ich noch ...«
Sie verstummte und blieb wie angewurzelt vor den mit Gras
bewachsenen Fundamentresten stehen, wo einmal der Kuhstall gewesen war.
Dann wanderte ihr Blick zum ersten Stock des Wohnhauses, einen
kurzen Moment lang erwartete sie, im mittleren Fenster ein Gesicht mit zwei
aufgerissenen Augen zu sehen. Ein Gesicht hinter der Scheibe, eine erhobene
Hand, ein leises Kichern.
Komm hoch zu mir,
Vendela .
Aber das Zimmer hinter dem Fenster war dunkel und leer.
VENDELA UND DIE ELFEN
N achdem
die Elfen Frau Jansson so krank gemacht haben, dass sie das verbleibende
Schuljahr arbeitsunfähig sein wird, muss Fräulein Ernstam die Klasse
übernehmen. Vendela mag sie sehr gern, und auch den anderen Schülern geht es
so. Fräulein Ernstam stammt aus Kalmar und bringt neue Ideen für den Unterricht
mit. Sie wirkt jung und modern ,
sie steigt in der Stunde manchmal vom Katheder und läuft in der Klasse herum,
und sie weigert sich, das Harmonium zu spielen.
Eine Woche nachdem sie den Posten als Klassenlehrerin übernommen
hat, verkündet sie den Schülern, dass sie alle zusammen eine Frühlingsreise
nach Borgholm unternehmen werden. Besuch des Hafens, des Schlosses und unter Umständen
auch eine kleine Bummeltour über den Marktplatz. Die Reise soll eine Art
Stärkung sein, bevor es ernst wird und die Schüler sich auf die
Abschlussprüfung am Ende des Schuljahres vorbereiten müssen.
Ein erwartungsvolles Gemurmel geht durch die Reihen, nur Vendela
schweigt.
Sie kann natürlich nicht mitfahren. Jemand muss sich um die Kühe
kümmern, und außerdem hat sie keine zwei Kronen für die Fahrt, denn so viel
kostet der Ausflug. Das ist zwar kein Vermögen, aber sie selbst hat kein Geld
und will auf keinen Fall ihren Vater darum bitten. Er hat nichts, das hat er
schon so oft gesagt.
Aber innerhalb einer Woche löst sich das Geldproblem von ganz
allein, am Dienstag bekommt Vendela von ihrer besten Freundin Dagmar zwei
Fünfzigörestücke geschenkt, und am Donnerstag – noch ein Wunder – findet sie
auf ihrem Nachhauseweg hinter der Kirche von Marnäs ein Zweikronenstück, das
jemand dort verloren hat. Und auf einmal hat sie genug Geld für die Reise.
Das einzige verbleibende Problem sind die Kühe Rosa, Rosa und Rosa.
Mit den Münzen in der Hand bleibt sie am Elfenstein stehen und starrt die
Steinschälchen an.
Sie sind natürlich alle leer.
Vendela legt ein Fünfzigörestück in eine der Kuhlen und wünscht
sich, dass ihr morgen erspart bleibt, die Kühe nach Hause zu treiben und zu
melken. Einen einzigen freien Tag im Jahr, das ist doch nicht zu viel verlangt?
Sie steht noch eine Weile beim Stein und betrachtet ihre Münze.
Später kann sie sich nicht mehr daran erinnern, an was sie dabei alles gedacht
hat – ob sie
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