Blutsvermächtnis (German Edition)
hinterherzueilen. Nie zuvor war es ihm so wichtig gewesen, etwas klarzustellen. Der Mann, der sein bisheriges Dasein bestimmt und gelenkt hatte, war tot. Seine Ehefrau war tot. Seine Mutter. Sein jüngster Bruder. Nun erfuhr er aus heiterem Himmel, dass Jason lebte. Der einzige seiner Verwandtschaft, der ihm geblieben war. Und dabei stellte sich heraus, dass da etwas ganz und gar nicht sauber war. Ein teuflischer Betrug, eine perfide Machenschaft, in dem zumindest sein Name eine erhebliche Rolle spielte. Nachdem Catalina begriffen hatte, dass sie den echten Jayden in seiner Person vor sich hatte, dauerte es nur wenige Minuten, bis er aus der Flut ihrer Worte zu erfassen begann, was vorgefallen schien. Jason, der damals nach Jaydens Rückkehr, seinem Misserfolg, dem Abbruch seines Vorhabens, wutentbrannt das Haus verlassen hatte und nie wieder zurückgekehrt war, musste umgehend nach Los Angeles geflogen und in seine Identität geschlüpft sein. Um Gottes willen, er hatte sich in Kalifornien für seine Person ausgegeben. Die Rache vollführt, für die Jayden hatte sorgen sollen.
Jasons Match war keineswegs vollendet. Es konnte nichts anderes sein. Sein Bruder war schon immer ein Spieler, noch dazu mit dem coolsten Pokerface, das Jayden kannte.
Ein heftiger Stich in der Seite zwang ihn, stehen zu bleiben. Sein Augenmerk flog durch das Terminal. Nevaeh steuerte eine Rolltreppe an. Verdammt, verdammt, verdammt. Er würde sie in der Menschenmenge verlieren.
Ein paar Yards neben ihm glitten die Türen eines Aufzugs auseinander. Blitzartig durchfuhr ihn der Gedanke, dass das vielleicht seine Chance war. Möglicherweise bekam er nur diese. Er stürmte auf die Kabine zu, drängelte sich rücksichtslos an hinein- und herausströmenden Menschen vorbei und drückte nacheinander auf den Etagenknopf und den zum Schließen der Fahrstuhltüren. Er ignorierte die teils wüsten Beschimpfungen, die auf ihn niederprasselten.
Der Lift brauchte viel zu lange, um in die nächste Etage zu fahren. Seine Ungeduld brachte Jayden schier zum Platzen, bis die Aufzugkabine abbremste. Er zwängte sich hinaus, kaum, dass sich die Schiebetüren bewegten, und wirbelte um seine Achse. Wippendes kastanienbraunes Haar. Jayden preschte voran, bemerkte seinen Irrtum, stolperte gegen einen Koffer und fing sich im letzten Moment ab. In seiner Verzweiflung rief er Nevaehs Namen in die Menge. Die einzigen Resonanzen waren verwunderte Blicke und indigniertes Kopfschütteln. Jayden rannte auf die Fensterfront zu. Hinter den Scheiben einer nahen Gangway erblickte er sie.
„Mist!“ Das Handy lag bereits an seinem Ohr. Nur die weitreichenden Beziehungen seines Chefs bewirkten, dass er es schaffte, die komplizierte Verbindung nach Chile buchstäblich als Last-Second am Schalter der Airline zu buchen. Paris, Buenos Aires, Santiago und anschließend nach Calama. Nun war die Angelegenheit ein offizieller Fall und er als Ermittler eingesetzt, obwohl seinem Vorgesetzten das zunächst nicht geschmeckt hatte. Persönliche Betroffenheit und Befangenheit hatten bei einer Verfolgung nichts zu suchen, wem erzählte Niilo Korhonen das. Nachdem sie jedoch keine Zeit hatten zu diskutieren, akzeptierte der Teamleiter zwangsläufig. Die Akte Jannik Caball trat aus dem verstaubten Hintergrund. Wenngleich er das als willkommene Gelegenheit ausgenutzt hatte, förmlich an Nevaeh kleben zu bleiben, lag es ihm fern, ihr ein Verschulden anzulasten, das sowieso ohne rechtliche Konsequenzen bliebe – aber dennoch nicht folgenlos. Er wusste, was sie war.
Dream Shaper.
Seine Frau Jenna hatte ebenfalls diese außergewöhnliche Gabe besessen, die sie ins Verhängnis stürzte, trotz des Beistandes, den man ihnen seitens seines Arbeitgebers, dem Department for Paranormal Activities, zukommen ließ. Nur wenige bekamen es hin, mit den Fähigkeiten umzugehen, wenn sie diese erst einmal zuließen. Er fürchtete, dass Nevaehs Reaktionen Anzeichen des Wahns darstellten, der die Gescheiterten erfasste. Sie brauchte Hilfe.
Wärme durchfloss ihn, die er unwillig abstreifte. Er durfte sie vor zehn Jahren nicht lieben. Jetzt, so kurz nach den Toden von Jenna und seinem Vater, war der Zeitpunkt nicht sonderlich geeignet, neuen Emotionen Raum zu geben. Er wollte das auch nicht. Er hatte nur noch sich und seinen Job als Lebensinhalt. Doch vielleicht würde er ein Stück Familie wiederfinden. Seinen verloren geglaubten Bruder. Und möglicherweise half er der einst geliebten Frau, nicht das gleiche
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