Blutsvermächtnis (German Edition)
Nachdem sie mehrere Kioske abgeklappert hatten, waren sie wenigstens in Besitz von sechs Käseblättern aus dem gesuchten Zeitraum. Während Jayden durch die Gegend fuhr, entlang der ausnahmslos einstöckigen, weiß getünchten oder naturbelassenen Lehmziegelbauten und mittlerweile nicht nur an Verkaufsbuden und winzigen Supermärkten stoppte, sondern auch an allen möglichen anderen Stellen, wo sich Menschen aufhielten, blätterte sie in den Zeitungen, allerdings ohne den erhofften Erfolg. Nur einen Fünfzeiler entdeckte sie, nüchterne Worte, die den Tod dreier Wissenschaftler, den Abbruch der Expedition und einen Schusswechsel mit Guerilleros kundtaten. Keineswegs die reißerische Aufmachung, die ihr vor Augen schwebte und vom Informationsgehalt nicht hilfreich. Jedes Mal, wenn Jayden in den Wagen einstieg, sprach sein Blick die Frage aus, ob sie erneut fündig geworden sei und sie schüttelte den Kopf. Es war früher Nachmittag, als sie endlich sämtliche Exemplare ergattert hatten. Die Sonne brannte auf ihrem strohhutbedeckten Haupt und Hunger und Durst meldeten sich vehement.
„Lass uns irgendwo hingehen und noch einmal in Ruhe suchen.“ Sie hatte ihren Vorschlag gerade ausgesprochen, da hielt Jayden wenige Yards weiter an einem Restaurant.
cafe adobe
, las sie auf einem Schild neben einem royalblaugestrichenen glaslosen Fensterrahmen mit einem Sprossengitter. Das niedrige Gebäude bot einen geräumigen Innenraum, ausgestattet mit klobigen Tischen und Bänken. Das Mauerwerk zierten farbige Mosaike, Kunstwerke, denen sie sich im Normalfall mit Interesse gewidmet hätte. Jetzt jedoch suchte sie einzig nach einem freien Sitzplatz in dem gut besuchten Pub. Sie steuerte auf einen unbesetzten Tisch mit der kurzen Seite zur Wand zu und ließ die Zeitungen auf die Platte fallen. Kaum saß sie auf der Holzbank, durchforstete sie schon wieder eine Ausgabe. Jayden bestellte zwei Becher Kaffee und sie winkte ihm eine zustimmende Geste zu, als er nachfragte, ob er ihr ebenfalls eine Pizza Española bestellen solle.
Die drei ältesten Ausgaben hatte sie bereits beiseitegelegt, als der Wirt das Essen servierte. Ohne darauf zu achten, was sie aß, biss sie in eines der Achtel. Plötzlich entfuhr ihr ein Aufschrei bei halb vollem Mund. Sie riss die Hand vor die Lippen, kaute hastig und schluckte. „Das ist merkwürdig.“
„Was?“
„Hier ist ein Bericht, dass in der vergangenen Woche die Arbeitslosenzahl – zumindest in der Altersgruppe der zwanzig- bis fünfunddreißigjährigen – in San Pedro von einem Tag auf den anderen fast auf null gesunken ist. Der Journalist schreibt, dass keine der Familien, die er aufgesucht hat, um herauszufinden, wo die Familienmitglieder Arbeit gefunden haben, eine Aussage treffen konnte. Die zumeist jungen Frauen und Männer seien Hals über Kopf aufgebrochen und hätten ihren Angehörigen allein das Versprechen hinterlassen, bald zurück zu sein und ihnen einen gehörigen Anteil eines beachtlichen Lohnes zu überbringen.“
„Hä?“
„Genau mein Gedanke. Der Artikel geht noch weiter: Es handelt sich um schätzungsweise vierzig Leute.“ Nevaeh überflog den Report aufs Neue. „Der Journalist berichtet, ein Interview mit den Busfahrern, die täglich mehrfach nach Calama fahren, habe ergeben, dass sich niemand an die gesuchten Personen erinnere, sodass davon auszugehen sei, dass sie die Stadt höchstwahrscheinlich nicht verlassen haben.“
„Da soll sich einer einen Reim drauf machen.“
„Über die Schießerei finde ich nichts weiter.“ Nevaeh stützte die Ellbogen auf den Tisch, legte ihr Gesicht zwischen die Hände und vergrub die Finger in ihrem Haar. „Es ist extrem merkwürdig. Normalerweise sollte doch mehr als ein Kurzbericht zu finden sein, der sich liest wie ein nebensächlicher Unfallbericht.“ Da Jayden kein Spanisch sprach, stellte er keine Hilfe dar. Dennoch – sie hatte nichts übersehen, auch wenn zwei zusätzliche Augen hilfreich gewesen wären.
Jayden riss sie aus ihren Grübeleien. „Lass uns den Koch suchen.“
Sie fanden das
Paso Los Toros
zügig, nachdem sie an einem Campingplatz erneut nach dem Weg gefragt hatten. Das Restaurant, von dem Pedro ihr erzählt hatte, dass es seinem Vetter gehöre, befand sich in einem frei stehenden Flachdachgebäude mit welligem Vordach aus Lehm und Stroh. Runde Steinsäulen begrenzten den Eingang. Nevaehs Blick folgte einem wirren Bündel Kabel, das von einem Strommast auf das Dach des Gebäudes führte. An einem
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