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Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)

Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Giuttari
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zeigte auf die Amerikaner und fuhr fort: »Die ’Ndrangheta ist für die Amerikaner eine völlig neue Welt, ein Parallelkosmos, den sie erst noch entdecken müssen. Die Familie lässt keinen Verrat ungesühnt. Früher oder später trifft einen ihre Rache.«
    Alfredo Prestipino sah zu Boden und wirkte wieder furchtsam. Schließlich verletzte auch er das oberste Gebot, das des Schweigens. Nach den traditionellen Regeln würde sein Verrat nicht ungestraft bleiben. Die ’Ndrangheta würde ihn dafür bezahlen lassen. Und wenn sie nicht an ihn selbst herankommen konnte, würde sie sich an denen rächen, die ihm am nächsten standen, und einen seiner Angehörigen töten, auch Jahre später noch. Von nun an würde er sich wie ein gehetztes Wild fühlen, die Verfolger immer im Nacken.
    Ferrara ahnte, welche Schreckensvorstellungen dem Zeugen durch den Kopf gingen, und versuchte ihm Mut zu machen. »Für uns ist das keine neue Welt. Wir kennen sie gut genug. Auch ich selbst, aus eigener Anschauung.«
    »Das weiß ich, Dottore, das weiß ich.« Prestipino hob den Kopf und blickte Ferrara offen an.
    »Dann sprechen Sie.«
    Er trank einen Schluck Wasser und nahm einen neuen Anlauf.
    »Mein Schwager gehörte der ’Ndrangheta an.« Er erzählte von einigen Stationen aus dem Leben Rocco Fedelis.
    »Und wie kam es, dass Sie bei Russo auf dem Hof waren? In einer solchen Verfassung?«, wollte Ferrara anschließend wissen.
    »Antonio Russo wollte bestimmte Auskünfte von mir haben …«
    »Auskünfte welcher Art?«
    »Wie diese Sache in New York abgelaufen ist und …«
    »Ja?«
    »Und wo die drei Millionen Dollar abgeblieben sind.«
    Ferrara, Trimarchi und die Amerikaner sahen sich an. Von dieser Summe hatten sie bereits aus der Notiz von Dick Moore erfahren. Allem Anschein nach war dessen Informationsquelle zuverlässig. Ebenso wie Prestipino, jedenfalls in diesem Punkt.
    »In Ordnung, Signor Prestipino. Ich werde den Staatsanwalt in Kenntnis setzen, und wir werden sehen, was wir für Sie tun können«, sagte Trimarchi nach einer Weile. »Sind Sie bereit, Ihre Aussage vor ihm zu wiederholen und gegebenenfalls noch näher auszuführen?«
    Alfredo Prestipino zuckte die Achseln.
    »Antworten Sie mit Ja oder Nein.«
    »Ja, wenn Sie mir die Garantien geben, die ich brauche. Schließlich habe ich jetzt gesungen. Ich bin erledigt. Ich hoffe bloß, bei meiner eigenen Familie auf Verständnis zu stoßen, vor allem bei meiner Tochter.«
    »Gut. Ich lasse Sie nun ins Nebenzimmer bringen. Wir machen so bald wie möglich weiter.« Er rief nach einem Polizisten.
    Mittlerweile war es kurz vor acht Uhr morgens.

    Als Diego aufwachte, drang bereits das Licht des neuen Tages durch die Ritzen zwischen den Steinen.
    Er hatte die ganze Nacht durchgeschlafen. Als er sich umschaute, sah er, dass der Holzofen in der Ecke der Hütte noch brannte. Er fühlte sich deutlich besser. Der schlimme Husten vom Vortag war fast weg. Nur seine Beine schmerzten noch heftig, eine kleine Erinnerung an seine verunglückte Flucht durch die Berge. Plötzlich kam einer der vermummten Entführer herein, der eine dieser altmodischen Holzschalen in der Hand trug, wie sie von den Hirten benutzt wurden.
    »Hier, nimm. Trink das. Das ist frische Ziegenmilch. Wirddir guttun.« Diego nahm die Schale und trank die Milch in zwei langen Zügen aus, wobei ein bisschen auf die Matratze tropfte.
    »Danke«, sagte er.
    »Nachher bring ich dir was zu essen.«
    »Danke«, wiederholte er. Der Bewacher ging. Diego nutzte die Gelegenheit und spähte schnell zur Tür hinaus, ehe sie wieder geschlossen wurde. Er sah Bäume und Gebirgsvegetation. Dann hörte er Geräusche, die es um den vorigen Unterschlupf herum nicht gegeben hatte, und schloss daraus, dass er sich in einer anderen Gegend befand. Er hörte Autohupen, das Röhren stark beanspruchter Motoren, die Rufe von Hirten. Dann sogar eine deutliche Stimme, einen Mann, der in ein Megafon sprach: »Kommt zusammen, kommt alle ins Dorf auf die Piazza …« Mehr verstand er nicht. Doch diese Laute, diese Stimme heiterten ihn auf, und er spürte, wie neue Energie durch seinen Körper strömte. Einige Minuten später drangen auch die Schläge einer Kirchenglocke an seine Ohren. Er konnte sie ohne Probleme zählen.
    Diego rückte die Windjacke unter seinem Kopf zurecht. Strapazen lassen sich einfach besser ertragen, wenn man es schön warm hat, sagte er sich.
    Er machte die Augen zu und schlief wieder ein.

    Reggio Calabria, Corso Garibaldi, von

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