Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
denselben BMW handelt, in den Alfredo Prestipino eingestiegen ist«, ergänzte er.
»Wisst ihr auch, wer diese drei Männer vom Gutshof sind?«, erkundigte sich Trimarchi.
»Ja, alte Bekannte. Mitglieder der ’Ndrina Russo. Der größte von ihnen, der hier direkt von vorn aufgenommen ist und sich dann ans Steuer setzt, ist der Chauffeur des Bosses und sein engster Vertrauter, Sohn eines alten Verwalters.«
Nachdenkliches Schweigen folgte. Foti brach es schließlich und sagte: »Um 18.25 Uhr haben meine Leute denselben BMW in den Gutshof hineinfahren sehen, den uns die Kollegen von der Squadra Mobile gemeldet hatten und dem sie von San Piero d’Aspromonte aus gefolgt waren. Es besteht kein Zweifel. Unsere Männer in dem Geländewagen hatten am Morgen das Kennzeichen notiert.« Alle hörten mit wachsender Spannung zu. Er berichtete weiter, dass drei Männer aus dem Auto ausgestiegen waren und das Haus betreten hatten, während der Chauffeur mit dem BMW weggefahren war.
»Sind sie anschließend wieder herausgekommen?«, fragte der Colonnello.
»Bisher nur zwei. Nach etwa einer Stunde. Sie sind mit einem Motorrad losgefahren.«
»Konnten die Beobachter den dritten Mann erkennen, der im Haus geblieben ist?«
»Nein, es war zu dunkel. Aber den Regeln der Logik zufolge müsste es Alfredo Prestipino sein, der sich noch im Gutshof aufhält.«
»Besteht Gewissheit, dass Prestipino sich freiwillig in Russos Haus begeben hat?«, fragte Trimarchi.
»Meine Männer hatten den deutlichen Eindruck, dass Alfredo Prestipino nicht einverstanden war«, warf der Leiter der Squadra Mobile ein.
»Heißt das, er wurde gezwungen?«, hakte der Colonnello nach.
»Nicht mit Gewalt. Sie haben keinerlei sichtbaren körperlichen Zwang ausgeübt, doch die Art, wie sie gingen, und dass der BMW mit quietschenden Reifen losgerast ist, legt diesen Schluss nahe«, führte Bruni aus.
»Das lässt eine neue Vermutung zu: Entführung beziehungsweise erpresserischer Menschenraub«, bemerkte Trimarchi.
Die anderen sahen sich an.
»Sonst noch etwas Neues, Dottor Bruni?«, setzte der Colonnello die Besprechung fort.
Der Leiter der Mobile berichtete, dass sie die ersten Ankunftsdaten von Bananenfrachtern aus Turbo erhalten hätten und die Zielhäfen fast immer ligurische gewesen seien. Sie konzentrierten ihre Nachforschungen nun mit Unterstützung der Guardia di Finanza auf Schiffe, die häufige Überfahrten unternahmen.
»Sehr gut, Dottor Bruni.«
Schließlich ergriff der Leiter der Abteilung Telekommunikationsüberwachung das Wort, der Carabinieri-Tenente Marco Oliva, ein großer, schlanker junger Mann mit Bürstenhaarschnitt und sommersprossiger Nase.
»Immer noch nichts Interessantes«, verkündete er. »DemAnschein nach alles normale Alltagsgespräche, mit Ausnahme der Telefonate im Hause Fedeli.«
»Soll heißen?«, fragte Trimarchi.
»Die Frau hat ein paarmal bei ihrer Mutter angerufen.«
»Worum ging es?«
»Es waren zwei kurze Anrufe, der erste um 17.46 Uhr, der zweite um 19.40 Uhr. Angela Fedeli machte sich Sorgen, weil ihr Mann noch nicht zu Hause war.«
»Achtet weiter auf diese Gespräche«, ordnete Trimarchi an. »Ich vermute stark, dass wir es mit einer Entführung zu tun haben, aus der in Anbetracht der beteiligten Personen ein Fall von Lupara bianca werden kann, sprich ein Mafiamord, bei dem das Opfer nie gefunden wird.«
Sie saß in der Küche. Immer noch allein.
Angela hatte sich in den vergangenen Stunden wiederholt gefragt, was aus ihrem Mann geworden war. Es gab keinerlei Nachricht von ihm. Ein solches Verhalten war neu und unerhört, genauso wie der Streit am Abend zuvor. Sie hatte darunter gelitten, unter seinen Antworten, die erst nach so viel Zaudern gekommen waren. Doch es waren seine Lügen, die sie am meisten verletzt hatten.
Nun starrte sie in eine fast geleerte Tasse Kamillentee und grübelte über Alfredos wahren Charakter nach. Sie wusste nur zu gut, dass fast jeder Mensch seine dunklen Seiten hatte, die er selbst vor denen, die ihm nahestanden, zu verbergen suchte. Doch die Erkenntnis, dass sie, ausgerechnet sie, in all den Jahren der Ehe bei ihrem Mann nichts davon bemerkt hatte, machte ihr zu schaffen. Sie sagte sich, dass die anderen Lebensumstände in Übersee es ihr möglicherweise nicht erlaubt hatten, Alfredo ganz und gar kennenzulernen, und musste an das alte Sprichwort »Durch Schaden wird man klug« denken. Vielleicht wurden ihr jetzt durch ihr Unglück und ihre alte Heimat, ihre Welt, mit
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