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Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)

Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Giuttari
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der sie trotz allem verbunden war wie ein Ungeborenes durch die Nabelschnur mit seiner Mutter, die Augen geöffnet. »Umso besser«, murmelte sie vor sich hin und fügte hinzu: »Ich danke dir, Madonna, bitte beschütze mich jetzt und immerdar!«
    Langsam umfasste sie den Henkel der Tasse, führte sie zum Mund und trank den letzten, nur noch lauwarmen Schluck. Dann schob sie sie mit einer zornigen Bewegung von sich. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich langsam Müdigkeit ab, doch sie konnte nicht aufhören zu grübeln. Am Ende versuchte sie sich einzureden, dass es sich bloß um einen bösen Streich handelte und Alfredos Versteckspiel nur noch Stunden, wenn nicht Minuten dauern konnte. Ohne sie wäre er ein Niemand und würde alles verlieren, dachte sie kopfschüttelnd. Dann stand sie abrupt von ihrem Stuhl auf und brummte wie zu einer verständnisvollen Verwandten: »Der soll nur mit eingezogenem Schwanz hier angeschlichen kommen, der kriegt ein Donnerwetter ab, das sich gewaschen hat, so wahr ich Angela Fedeli heiße.«
    Sie ging zu Bett.
    Es würde sicher eine lange Nacht werden.

    Es war dunkel.
    Diego hörte kein menschliches Geräusch mehr, nicht einmal mehr das leise Flüstern, das hin und wieder an seine Ohren gedrungen war. Deshalb nahm er an, dass seine Bewacher nun schliefen, und begann mit der inzwischen leeren Weinflasche zu hantieren. Er schob sie zwischen die Stützbalken und setzte sie wie einen Hebel an. Schließlich gelang es ihm, das angenagelte Brett zu lockern, an dem die Kette befestigt war. Er versuchte, sich auch von ihr zu befreien, schaffte es aber nicht. Das Schloss an den Füßen verhinderte es. Immerhin konnte er sich mit kleinen Schritten fortbewegen. Er wickelte sich die Kette um eine Hand, nahm mit der anderen seine Schuhe und schlüpfte hinein. Dann hob er die hintere Plane des Verschlags gerade so weit an, dass er hinausspähen konnte. Alles pechschwarz. Schlurfend kroch er hinaus. Ein kalter, feuchter Wind schlug ihm entgegen. Ringsherum herrschte Stille. Er sah nach oben und drehte den Kopf nach allen Seiten. Der Mond kam gerade hinter ein paar Wolken hervor. Er lauschte einige Augenblicke, dann holte er tief Luft.
    Er dachte an das, was einer seiner Schergen gesagt hatte: Die Wege werden bewacht, man würde dich töten. Folglich mied er sie und ging in südlicher Richtung talwärts, wo er wahrscheinlich auf die blökende Schafherde stoßen würde, die bei Tag neben den Pfiffen der Hirten und dem Bellen der Hunde das einzige Zeichen von Leben draußen gewesen war, das er gehört hatte. Mit einer Hand hielt er die Kette, während er sich mit der anderen an Sträuchern und Steineichen festhielt. Die einzigen Geräusche waren das Knacken der trockenen Zweige unter seinen Füßen und sein keuchender Atem.
    Er stolperte und fiel. Schürfte sich die Hände auf. Zerriss seine Hose. Doch er verlor nicht den Mut. Mit brennenden Handflächen richtete er sich sogleich wieder auf. Er hatte nur einen Gedanken: so schnell wie möglich sein Gefängnis hinter sich zu lassen. Zu fliehen.
    Eine neue, ungeahnte Kraft schien ihn zu beflügeln. Und plötzlich, nach fast einer Stunde angestrengten Humpelns zwischen Unterholz und Büschen, hörte er ein ohrenbetäubendes Tosen, noch verstärkt von der Stille der Nacht. Er blieb stehen.
    Es war ein Wildbach, der anscheinend viel Wasser führte. Nach ein paar weiteren Minuten stieß er auf ihn und folgte seinem Lauf. Er war kaum mehr als zwei Meter breit. Immer am Ufer entlanggehend, erreichte er bald einen kleinen Wasserfall, bei dem er erneut stehen blieb und überlegte. Dann machte er sich daran, den Bach zu überqueren. Das Wasser reichte ihm bis über die Knie. Er stolperte wieder, verlor das Gleichgewicht und fiel ins Wasser. Es war eiskalt, wie Schmelzwasser. Er spürte, wie sich seine Haut zusammenzog und Beine und Rücken steif wurden.
    Sein Blick richtete sich auf den Wald. Er sah nur dunkle Schatten, die sich hinter jedem Baum ausdehnten.
    Er begann zu zittern. In diesem Moment zerriss ein Blitz den Himmel. Es donnerte. Dann wieder ein Blitz. Bald würde ein Wolkenbruch niedergehen.
    Endlich schaffte er es, sich zu bewegen, und tappte mit kleinen Schritten aus dem Wasser. Er war vollkommen durchnässt und bibberte immer noch. Taumelnd ging er weiter, um das Tal zu durchqueren und einen Ausgang zu finden.
    Doch überall gab es Brombeerhecken und Dornensträucher, die ihm den Weg versperrten. Es kam ihm vor, als wäre er in einen undurchdringlichen

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