Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
Schutz vor Wind und Kälte − beinahe eine Luxussuite im Vergleich zu vorher. Auf dem Boden lag eine zerschlissene Matratze, und in den Ecken standen ein Holzofen und ein altes Schränkchen mit Essensvorräten.
»Hier hast du’s besser«, sagte einer der Bewacher. »Später kriegst du einen Teller Pasta und ein bisschen Rotwein, dann erholst du dich bald.«
»Danke«, murmelte Diego.
»Wir brauchen dich lebend«, sagte der andere zum zweiten Mal innerhalb von ein paar Stunden. Dann fügte er hinzu: »Wenn du musst, gibt es hier wieder einen Eimer.«
Diego zog ihn zu sich heran. Er betrachtete diesen banalen Gegenstand, als sähe er so etwas zum ersten Mal. Der Eimer war aus Blech wie der vorige, nur etwas kleiner.
Derweil herrschte in den Räumen der DIA gespannte Erwartung.
Staatsanwalt Romeo hatte erneut strikte Anweisung zur Intervention gegeben.
Die Drogenlieferung würden sie immer noch beschlagnahmen können, vorausgesetzt, Carraccis Theorie erwies sich als richtig. Zumal sie den Empfänger in diesem Fall bereits kannten. Gegen Antonio Russo hätten sie so oder so genug Belastungsmaterial.
Carracci musste sich geschlagen geben.
Der Einsatz würde mitten in der Nacht vonstattengehen, jedoch erst, wenn Gewissheit bestand, dass der ’Ndrangheta-Boss sich im Haus aufhielt.
Das war die einzige Bedingung des Staatsanwalts gewesen, bevor er grünes Licht gab.
Sie bereiteten gerade die letzten Einzelheiten vor, als Ferraras Handy klingelte.
Er erkannte die Nummer im Display und meldete sich sofort.
»Hallo, Petra, was gibt’s?«
»Was ist, bist du in Eile?«
»Nein, ich bin nur noch in einer Besprechung, aber sag ruhig, was du auf dem Herzen hast.«
Er ging in eine Ecke des Zimmers, um ungestört telefonieren zu können.
»Nichts Besonderes, Michele, ich wollte dir nur sagen, dass Anna aus Florenz zu Besuch gekommen ist …«
»Schön, grüß sie bitte von mir.«
»Mach ich. Wir wollen zusammen in die Ausstellung im Kapitolinischen Museum gehen.«
»Welche Ausstellung?«
» Le sorelle Fontana: gli abiti entrati nella storia , über die berühmten Fontana-Schwestern, die Modedesignerinnen.«
»Ach ja, ich erinnere mich.«
»Ich soll einen Artikel für die Zeitschrift darüber schreiben, weißt du.«
»Gut, das freut mich für dich.«
»Wenn ich zurück bin, rufe ich dich gleich an.«
»Tu das bitte, Petra.«
»Also, mach dir keine Sorgen. Und pass auf dich auf. Wann kommst du nach Hause?«
»Ich hoffe, bald.«
»Ich auch.«
»Küsschen.«
»Für dich auch.«
Nachdem Petra aufgelegt hatte, ging sie in das kleine Wohnzimmer zurück.
»Michele lässt dich grüßen«, sagte sie zu Anna, die in einer Modezeitschrift blätterte.
»Danke. Hoffen wir, dass es nicht zu spät bei ihm wird.«
»Hoffen wir’s, aber bei seinem Beruf ist es zwecklos, Pläne zu machen.«
Anna schüttelte den Kopf, und Petra wechselte das Thema. »In der Ausstellung sind Haute-Couture-Kleider von denVierziger- bis zu den Neunzigerjahren zu sehen, die die Fontanas für berühmte Frauen entworfen haben. Das wird dir bestimmt gefallen.«
»Da bin ich sicher. Früher waren die Models einfach viel weiblicher und hatten mehr Sex-Appeal, finde ich.«
Petra nickte.
Sie unterhielten sich weiter angeregt über das Thema.
New York
Ehe Reynolds das Revier verließ, vergewisserte er sich, dass der Festnetzanschluss von Harry Baker bereits überwacht wurde. Er hatte keine Zeit mehr verlieren wollen, da immerhin die Möglichkeit bestand, dass irgendein Gespräch, und sei es nur unter Familienangehörigen, sich als aufschlussreich erwies.
Dick Moore hingegen hatte die Überwachung des Telefons der sizilianischen Pizzeria angeordnet, in der Baker und die Kalabresen verkehrten. Über Letztere rechnete er jederzeit mit neuen Informationen aus Italien.
Die Ermittlungen in New York und in Kalabrien waren inzwischen perfekt aufeinander abgestimmt, und das ließ hoffen.
Nicht nur Polizeichef Jones, sondern alle Bürgerinnen und Bürger warteten ungeduldig darauf, die Namen der Schuldigen am Massaker von Manhattan zu erfahren und sie vor allem hinter Gittern zu sehen. Erst dann würde sich die Stimmung der durch das Blutbad erschütterten, nach Neuigkeiten lechzenden New Yorker wieder bessern. Dass dies nicht so ohne Weiteres geschehen würde, wurde von den wachsamen Medien immer wieder hervorgehoben. Besonders David Powell von der New York Times ließ nicht locker und hatte auch an diesem Tag nicht darauf verzichtet,
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