Blutsverwandte: Thriller (German Edition)

vorsichtig rückwärts in den Graben hineingefahren.«
    »Rückwärts hineingefahren?«
    »Die Frontscheinwerfer haben in die Bäume hinaufgeleuchtet, weg von den umstehenden Ferienhäusern. Ich habe mich umgesehen – nach der Form des Grabens und der Art, wie die Straße an der Stelle verlief und wie die Bäume standen, kann der Wagen meiner Meinung nach nur dann in diesem Winkel zum Stehen gekommen sein, wenn er rückwärts in den Graben manövriert worden ist.«
    Er schnappte sich einen Zettel und machte eine kleine Zeichnung.
    »Das ist nicht exakt, sondern soll Ihnen nur einen groben Eindruck vermitteln. Okay. Er fährt angeblich in den Graben, aber das Ganze ist nicht einmal laut genug, um die Nachbarn zu wecken. Ich habe sie erst geweckt, als ich den Namen des kleinen Mädchens gerufen habe.«
    »Jenny.«
    »Ja. Aber das ist noch nicht alles, was an der Szenerie nicht stimmt. Er hat weder blaue Flecken noch Schnittverletzungen – nicht einmal einen Kratzer. Obwohl er zwei Opfer umbringen musste, hat keines von beiden ihn in irgendeiner Form verletzt. Okay, vielleicht hat er sie mit einer Pistole oder einem Messer bedroht – aber nein. Keine Waffen außer der Metallskulptur. Irgendeine Auszeichnung. Nicht viele Leute werden mit einer Auszeichnung bedroht.«
    »Aber das Atelier hatte mehrere Räume«, sagte ich nachdenklich. »Er hätte seinen Stiefvater mit der Trophäe erschlagen und dann auf seine Schwester losgehen und sie erwürgen können … aber … ja, ich verstehe schon. Wenn er sie im Atelier umgebracht hat, warum hat er dann ihre Leiche nicht dort liegen lassen?«
    »An dieser Geschichte passt vieles nicht zusammen.«
    »Da sind wir uns einig. Erzählen Sie mir mehr darüber, was Ihnen in jener Nacht aufgefallen ist.«
    »Okay – keine Schlüssel.«
    »Was?«, fragte Ethan.
    »Keine Autoschlüssel. Weder im Zündschloss noch irgendwo auf der Erde, soweit ich gesehen habe.«
    »Hat er nicht angeblich Sachen in den Kofferraum gelegt? Vielleicht hat er sie dabei fallen lassen.«
    »Ja, und wann soll das passiert sein? Nachdem er in den Graben gefahren ist? Er baut in einer feuchtkalten Nacht einen Autounfall, steigt aus und zieht sich bis auf Socken und Unterhose aus, ehe er auf dem Fahrersitz bewusstlos wird. Ist das nachvollziehbar, selbst bei einem Betrunkenen? Ach, und wo wir schon dabei sind – ein Wäschewunder gibt es auch. Die Unterseiten seiner Socken sind nämlich sauber geblieben, sogar als er im Matsch herumgelaufen ist und Schuhabdrücke hinterlassen hat. Die Schuhabdrücke sehen allerdings ganz anders aus als die Sohlen seiner Schuhe, die im Kofferraum liegen.«
    »Moment mal«, hakte ich ein. »Sie haben die Unterseite seiner Socken gesehen, während er bewusstlos auf dem Fahrersitz saß?«
    »Ja.«
    »Ohne ihn zu bewegen?«
    »Ja«, sagte er stirnrunzelnd.
    »Aber dann muss der Sitz ja viel zu weit hinten gewesen sein.«
    »Wie meinst du das?«, fragte Ethan.
    »Beim Fahren«, antwortete ich, »hast du den Sitz weit genug vorn, um Bremse und Gas zu erreichen und die Kupplung, falls es keine Automatik ist. Wenn der Sitz so weit hinten war, dass man die Unterseiten seiner Socken gesehen hat, wie soll er da den Wagen gefahren haben?«
    »Wenn Sie mich fragen, hat er ihn überhaupt nicht gefahren«, sagte Tadeo. »Jedenfalls nicht an diesem Tag.«
    »Wenn jemand seinen zwar widerstandslosen, aber schweren Körper hinters Lenkrad manövrieren musste …«
    »Ja, das war sicher leichter, wenn der Sitz so weit hinten wie möglich war.«
    »Sie haben gesagt, sie hätten keinerlei Kratzer oder blaue Flecken an ihm gesehen. Wie steht’s mit Blut? Ich meine Spritzer oder Schlieren vom Blut seiner Opfer?«
    »Nichts. Weder an den Händen noch an den Armen und auch nicht in den Haaren.«
    »Vielleicht hat er sich gewaschen«, spekulierte Ethan. »Geduscht oder so.«
    »Im Atelier gab es eine Dusche«, sagte ich langsam. »Aber warum soll er duschen und dann blutbeschmierte Kleider anziehen? Es sei denn, man glaubt, dass er in seinen Boxershorts gefahren ist und später saubere Socken angezogen hat …«
    Tadeo lächelte. »Das ist das Komische daran, was? Seine Kleidung ist beschmiert, aber er ist sauber. Und er hat keine anderen Kleider dabei.«
    »Und angeblich soll er in einer kalten Nacht fast splitternackt durch die Berge gefahren sein.«
    »Genau.«
    »Wie lang hat der Wagen im Graben gelegen?«, erkundigte sich Ethan.
    »Der Letzte, der vor ihm diese Privatstraße entlanggefahren ist,