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Bluttat

Bluttat

Titel: Bluttat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Wachpersonal legte besondere Sorgfalt an den Tag.
    »Rand?«
    Er sagte: »Ich hab sie auch geschlagen.«
    In der nächsten Woche besuchte ich ihn jeden Tag für zwei einstündige Sitzungen, einmal am Vormittag, einmal am Nachmittag. Anstatt aus sich herauszugehen, regredierte er und weigerte sich, mehr über den Mord preiszugeben. Ein Großteil meiner Zeit war formellen Tests gewidmet. Das klinische Gespräch war eine Herausforderung. An manchen Tagen blieb er entschieden stumm; ich konnte allenfalls mit passiven, einsilbigen Antworten auf Ja-Nein-Fragen rechnen.
    Als ich auf die Entführung zu sprechen kam, schien er verwirrt darüber zu sein, warum er daran teilgenommen hatte, eher verblüfft als entsetzt. Das lag zum Teil daran, dass er die Realität nicht wahrhaben wollte, aber ich vermutete, dass seine geringe Intelligenz ebenfalls eine Rolle spielte. Wenn man die Biographien wirklich gewalttätiger Kinder betrachtet, stößt man oft auf Kopfverletzungen. Ich fragte mich, ob der Autounfall, bei dem seine Eltern gestorben waren, nicht doch irgendwelche nicht offensichtlichen Schäden bei ihm angerichtet hatte.
    Seine Punktzahl beim Wechsler-Test war kein Schock: ein IQ von 79 mit schweren Defiziten in verbaler Argumentation, Sprachbildung, faktischem Wissen und mathematischer Logik.
    Tom Laskin wollte wissen, ob er als Erwachsener gehandelt hatte, als er Kristal Malley umbrachte. Selbst wenn Rand fünfunddreißig gewesen wäre, hätte diese Frage ihre Berechtigung gehabt.
    Der thematische Apperzeptions- und der Rorschach-Test waren ziemlich fruchtlos: Rand war zu deprimiert und intellektuell verkümmert, um sinnvolle Antworten auf die Tafeln zu geben. Sein Peabody-IQ war nicht höher als der mehr sprachlich beeinflusste Wechsler-Wert. Sein Zeichneeinen-Menschen war ein winziges Strichmännchen mit zwei Haarsträhnen, ohne Gliedmaßen und ohne Mund. Meine Bitte, frei zu zeichnen, rief ein ausdrucksloses Starren hervor. Als ich ihm vorschlug, sich selbst und Troy zu zeichnen, widersetzte er sich, indem er so tat, als schliefe er.
    »Dann zeichne einfach irgendwas.«
    Er lag da und atmete durch den Mund. Seine Akne war noch schlimmer geworden. Der Vorschlag, einen Dermatologen hinzuzuziehen, hätte beim Gefängnispersonal für Heiterkeit gesorgt.
    »Rand?«
    »Hmmh.«
    »Zeichne etwas.«
    »Kann ich nicht.«
    »Warum nicht?«
    Er verzog den Mund, als täten ihm die Zähne weh. »Kann nicht.«
    »Setz dich hin und tu es trotzdem.« Mein scharfer Ton brachte ihn zum Blinzeln. Er starrte mich an, konnte es aber nicht mehr als ein paar Sekunden durchhalten. Erbärmliche Aufmerksamkeitsspanne. Vielleicht zum Teil sensorische Deprivation infolge des Eingesperrtseins, aber ich vermutete, dass er schon immer Schwierigkeiten gehabt hatte, sich zu konzentrieren.
    Ich reichte ihm Bleistift, Papier und Zeichenbrett. Er saß eine Weile da, legte schließlich das Brett in seinen Schoß und ergriff den Bleistift. Die Spitze erstarrte auf dem Papier.
    »Zeichne«, sagte ich.
    Seine Hand begann träge zu kreisen, sie schwebte über dem Papier. Schließlich landete der Bleistift, und Rand schuf kaum sichtbare, konzentrische Ellipsen. Das Blatt füllte sich allmählich. Mit dunkleren Ellipsen. Er machte die Augen zu, während er kritzelte. In den letzten zwei Wochen hatte er das oft getan - seine Augen vor seiner schrecklichen Realität verschlossen.
    Heute bewegte sich die Hand mit dem Bleistift schneller. Die Ellipsen wurden eckiger. Flacher, dunkler. Schärften sich zu gezackten, speerähnlichen Formen.
    Er machte weiter, und die Spitze seiner Zunge schlängelte sich zwischen seinen Lippen hervor. Das Blatt wurde zu einem schwarzen Unwetter. Seine freie Hand ballte sich zur Faust und packte den Saum seines Gefängnishemds, während sich seine Zeichenhand schneller bewegte. Der Bleistift grub sich ein, und das Papier warf Falten. Riss. Seine Hand fuhr nach unten. Kreiste schneller. Drückte härter auf das Papier, das allmählich geschreddert wurde. Der Bleistift ging durch bis zum Zeichenbrett, traf auf die glänzende Faserplatte und rutschte ihm aus der Hand.
    Landete auf dem Zellenboden.
    Er bewegte sich schnell und hob ihn auf. Atmete aus. Hielt mir den gelben Stummel auf einer schmutzigen, feuchten Handfläche hin. »Tut mir leid.«
    Das Papier war Konfetti. Die Graphitspitze des Stifts war abgebrochen, an ihrer Stelle sah man gesplittertes Holz. Scharfe kleine Spitzen.
    Ich nahm den Stift. Steckte ihn in meine Tasche.
    Als ich

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