Bluttat
was ich in diesem Fall unternehme, wird unters Mikroskop gelegt werden. Was ich gar nicht brauche, ist eine dieser üblichen Expertenhuren, die das Ganze in einen Zirkus verwandelt. Ich hab mich nicht auf Petes Wort verlassen, dass Sie unvoreingenommen sind, und hab mit einigen anderen Richtern und ein paar Cops gesprochen. Selbst Leute, die Sie für eine unglaubliche Nervensäge halten, geben zu, dass Sie nicht doktrinär sind. Was ich hier brauche, ist ein aufgeschlossener Kopf. Aber nicht so aufgeschlossen, dass Ihr Gehirn rausfällt.«
»Sind Sie aufgeschlossen?«, fragte ich.
»Was meinen Sie damit?«
»Haben Sie sich wirklich noch nicht entschieden?«
Ich hörte ihn atmen. Zunächst rasch, dann langsamer, als zwänge er sich zu Gelassenheit. »Nein, ich habe mich noch nicht entschieden, Dr. Delaware. Ich hab mir nur die Fotos von der Obduktion angesehen. Und ich bin auch im Gefängnis gewesen und hab mir die Angeklagten angesehen. In Gefängnisklamotten und mit geschnittenen Haaren sahen sie selber so aus, als wären sie gekidnappt worden. Es ergibt einfach keinen Sinn.«
»Ich weiß, aber -«
»Schluss mit dem Scheiß, Dr. Delaware. Ich hab grundsolide Bürger, die lautstark Vergeltung fordern, und die ACLU und ihre Kumpel, die daraus politisches Kapital schlagen wollen. Es läuft auf Folgendes hinaus: Ich werde die Daten auswerten und meine Entscheidung treffen. Aber ich muss sicher sein können, dass ich die besten Informationen bekomme. Falls Sie die Jungen nicht untersuchen, wird es ein anderer machen - wahrscheinlich eine von den Huren. Wenn Sie sich aus Ihrer Verantwortung stehlen wollen, schön. Und wenn das nächste Mal etwas Schlimmes passiert, sagen Sie sich einfach, Sie haben Ihr Bestes getan.«
»Beeindruckender Schuldtrip.«
»Hey«, sagte er lachend. »Alles, was funktioniert. Wie wär’s also? Reden Sie mit ihnen, testen Sie sie, machen Sie, was zum Teufel Sie wollen, und erstatten Sie mir persönlich Bericht.«
»Lassen Sie mich darüber nachdenken.«
»Denken Sie nicht zu lange nach. Okay, schon entschieden?«
»Damit wir uns nicht missverstehen«, sagte ich. »Ich könnte am Ende ohne eine Empfehlung in der Frage Jugendstrafrecht ja oder nein dastehen.«
»Damit befasse ich mich, falls es dazu kommt.«
»Ich muss uneingeschränkten Zugang haben«, sagte ich. »Und keinen Zeitdruck.«
»Ja zum Ersten, nein zum Zweiten. Ich muss innerhalb von dreißig Tagen eine Entscheidung fällen. Ich kann das auf fünfundvierzig Tage ausdehnen, vielleicht auf sechzig, aber wenn ich nicht in einem angemessenen zeitlichen Rahmen handle, bin ich allen möglichen Revisionsgründen ausgesetzt. Sind Sie dabei?«
»Okay«, sagte ich.
»Wie hoch ist Ihr Honorar?«
Ich sagte es ihm.
»Happig«, sagte er, »aber nicht überzogen. Schicken Sie die Rechnung direkt an mich. Vielleicht werden Sie sogar nach einer vernünftigen Frist bezahlt.«
»Das ist ein tröstlicher Gedanke.«
»Das ist der ganze Trost, den Sie in dieser Sache bekommen werden.«
4
Der Sozialdienst hatte die Familien der Jungen in Augenschein genommen, bevor sie sie in den Sozialwohnungen unterbrachten. Ich musste die Unterlagen mit einer Strafandrohung anfordern, aber ich bekam sie.
Troy Turner jun. wohnte bei seiner Mutter, einer achtundzwanzig Jahre alten Alkoholikerin und Kokainsüchtigen namens Jane Hannabee. Sie hatte den größten Teil ihres Erwachsenenlebens mit Entziehungskuren und Resozialisierungsmaßnahmen verbracht und war als Teenager zwei Jahre in der staatlichen Nervenheilanstalt in Camarillo gewesen. Ihre Diagnosen reichten von manischer Depressivität über narzisstische Persönlichkeitsstörung bis hin zu schizoider Affektivitätsambivalenz. Was hieß, dass niemand sie wirklich verstand. Während ihrer Behandlungsversuche war Troy zu ihren Eltern nach San Diego geschickt worden. Troys Großvater, ein pensionierter Sergeant der US Army, hatte das ungehörige Benehmen des Jungen untragbar gefunden. Er war seit sieben Jahren tot, seine Frau seit sechs.
Ein Gewohnheitsverbrecher und notorischer Suchtkranker namens Troy Wayne Turner war angeblich der Vater des Jungen. Jane Hannabee behauptete, dass sie im Alter von fünfzehn Jahren mit dem Neununddreißigjährigen einen Brocken Crack und ein Bett in einem Motel in San Fernando geteilt hätte. Turner hatte sich kurz zuvor auf Bankraub verlegt, um seinen Drogenkonsum zu finanzieren, und war nach seiner Romanze mit Hannabee auf der Flucht aus einer Bank of America
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