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Bluttat

Bluttat

Titel: Bluttat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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in Covina festgenommen worden. Nach seiner Verurteilung zu zehn Jahren in San Quentin war er drei Jahre später einer Leberkrankheit erlegen, ohne seinen Sohn je kennen gelernt oder anerkannt zu haben.
    Kurz nach der Verhaftung ihres Sohnes hatte Jane Hannabee 415 City mit unbekanntem Ziel verlassen.
    Rand Duchays Eltern waren Fernfahrer gewesen, die im Winter auf dem Grapevine bei einer Massenkarambolage mit dreißig Fahrzeugen den Tod gefunden hatten. Zum Zeitpunkt des Unfalls hatte der sechs Monate alte Rand, eingewickelt in eine Decke, im Stauraum hinter dem Fahrersitz des Lastwagens gelegen. Er hatte ohne eine offenkundige Verletzung überlebt und war seitdem von seinen Großeltern betreut worden, Elmer und Margaret Sieff, ungebildeten Menschen, die als Farmer und mit einer Reihe kleiner Geschäfte gescheitert waren. Elmer Sieff starb, als Rand vier war, und Margaret, die an Diabetes und Kreislaufproblemen litt, zog in eine der Sozialwohnungen, als ihr das Geld ausging. Nach Ansicht der Sozialarbeiter hatte sie alles getan, was in ihren Kräften stand.
    Soweit ich es beurteilen konnte, hatte keiner der beiden Jungen viel Zeit in der Schule verbracht, und das war niemandem aufgefallen.
    Ich reichte meinen Antrag auf Besuchsgenehmigung ein, und die beiden Ankläger, die den Fall für den Bezirksstaatsanwalt vertraten, verlangten vorab eine Besprechung. Die beiden Pflichtverteidiger der Jungen ebenfalls. Ich brauchte weder von der einen noch von der anderen Seite Instruktionen und weigerte mich. Als alle Anwälte protestierten, schaltete ich Richter Laskin ein. Einen Tag später hatte ich die Genehmigung, das Gefängnis zu betreten.
    Ich war früher schon im County-Gefängnis gewesen und an die Trostlosigkeit, das Warten, die Tore, die Formulare gewöhnt. Die zusammengekniffenen Augen der berufsmäßig misstrauischen Deputy Sheriffs, die mich in der Sicherheitsschleuse untersuchten. Ich kannte auch den Hochsicherheitstrakt, weil ich dort vor Jahren einen Patienten besucht hatte. Ein weiterer Junge, der am Abgrund entlanggetaumelt war. Als ich von einem Deputy begleitet durch den Korridor ging, drangen Stöhnen und Gekicher aus entlegenen Zellen bis zu uns, und die Luft roch nach Exkrementen und Desinfektionsmitteln. Die Welt änderte sich ja vielleicht, aber dieser Ort nicht.
    Die psychologischen Untersuchungen sollten in alphabetischer Reihenfolge vorgenommen werden: zuerst Randolph Duchay. Er lag zusammengerollt auf einer Pritsche in seiner Zelle, scheinbar schlafend. Ich gab dem Deputy durch eine Handbewegung zu verstehen, er möge einen Moment warten, und nahm mir ein paar Sekunden zur Beobachtung.
    Er war groß für sein Alter, aber in dem kalten, schmucklosen, vanillesoßengelben Raum sah er unscheinbar aus.
    Die Zelle war ausgestattet mit einem Waschbecken, einem Stuhl, einer Toilette ohne Deckel, einem Bord für persönliche Gegenstände, das leer war. In den Wochen, die er hinter Gittern verbracht hatte, war er blass geworden, er hatte rußfarbene Halbmonde unter den Augen, aufgesprungene Lippen und ein schlaffes Gesicht, das von einer heftigen Akne heimgesucht wurde. Seine Haare waren kurz geschnitten. Selbst aus dieser Entfernung konnte ich erkennen, dass die Pickel auch vor seinem Haaransatz nicht Halt machten.
    Ich bedeutete dem Deputy, dass ich fertig sei, und er öffnete die Zelle. Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, schaute der Junge auf. Trübe braune Augen nahmen mich kaum richtig wahr, bevor sie wieder zufielen.
    Der Deputy sagte: »Ich komme jede Viertelstunde vorbei. Wenn Sie mich früher brauchen, rufen Sie.«
    Ich dankte ihm, stellte meine Aktentasche ab und setzte mich auf den Stuhl. Als der Deputy ging, sagte ich: »Hallo, Rand. Ich bin Dr. Delaware.«
    »H’lo.« Eine heisere, schwerfällige Stimme, kaum mehr als ein Flüstern. Er hustete. Blinzelte mehrfach. Blieb liegen.
    »Bist du erkältet?«, fragte ich.
    Kopfschütteln.
    »Wie behandelt man dich hier?«
    Keine Reaktion, dann setzte er sich halb auf, aber immer noch so zusammengesunken, dass sein Oberkörper fast parallel zu der Pritsche verlief. Ein großer Rumpf, unverhältnismäßig kurze Beine. Seine Ohren saßen niedrig am Kopf, oben ein wenig breiter, auf seltsame Weise in sich zusammengefaltet. Wurstfinger. Ein Hals, an dem die Sehnen hervortraten. Ein Mund, der sich nie völlig schloss. Seine Schneidezähne waren klein und unregelmäßig. Das Gesamtbild: »weiche Zeichen« - Andeutungen von Abnormität, die nicht für

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