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Bluttat

Bluttat

Titel: Bluttat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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sagte, dass Mr. Ramos nicht in Schwierigkeiten steckt, aber vielleicht seine Schwester? Ich bin sicher, das würde er gern wissen, Ma’am.«
    »Tut mir leid. Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen.«
    Er lockerte seine Schultern. Bedächtig, langsam, wie er es tut, wenn er sich darum bemüht, Ruhe zu bewahren. Breites Lächeln. Er schob sich schwarze Haare aus der Stirn und presste seinen massigen Körper gegen den Tresen. Die Sekretärin wich instinktiv zurück.
    »Wo befinden sich die Studenten, die im ersten Studienjahr sind, in diesem Moment?«
    »Sie sollten gerade aus dem … Grundkurs Jurisprudenz rauskommen. Vielleicht draußen auf dem Rasen.«
    »Von wie vielen reden wir?«
    »Dreihundertsieben.«
    »Ein hispanischer Mann«, sagte Milo. »Tun Sie sich weniger schwer mit der Zulassung von Minderheiten, oder wird es dadurch etwas eingeengt?«
    »Er sieht nicht wirklich hispanisch aus«, sagte die Sekretärin.
    Milo starrte sie an. Sie wurde rot, beugte sich vor und flüsterte: »Wenn jemand richtig groß wäre, würde er Ihnen doch auffallen, oder?«
    Milo lächelte sie an. »Reden wir von einem Basketballspieler?«
    »Vielleicht von einem aus der Abwehr.«
    Mit langen, langsamen Schritten kam George Ramos auf unbeholfene, aber entschlossene Weise über den Rasen geschlendert. Wie ein Watvogel - ein Reiher -, der sich durch Sumpfland bewegt. Ich schätzte ihn auf eins achtundneunzig. Er war blass und gebeugt und trug einen Stapel Bücher und einen Laptop. Seine schütteren Haare waren mittelbraun und dünn und fielen ihm über die Ohren. Er trug einen blauen Pullover mit V-Ausschnitt, ein weißes T-Shirt, eine gebügelte Hose und braune Schuhe. Eine Brille mit winzigen Gläsern saß auf einer gebogenen Nase. Der junge Ben Franklin, den man auf der Folterbank in die Länge gezogen hatte.
    Als wir ihm in den Weg traten, blinzelte er zweimal und versuchte an uns vorbeizugehen. Als Milo »Mr. Ramos?« sagte, blieb er wie angewurzelt stehen.
    »Ja?«
    Milo ließ sein Abzeichen aufblitzen. »Haben Sie einen Augenblick Zeit, um mit uns über Ihre Schwester Wilfreda zu reden?«
    Ramos’ Augen hinter der Brille waren hart geworden. Seine Fingerknöchel traten hervor und wurden weiß. »Das meinen Sie ernst?«
    »Das tun wir, Sir.«
    Ramos murmelte etwas Unverständliches.
    »Sir?«
    »Meine Schwester ist tot.«
    »Tut mir leid, Sir.«
    »Was in aller Welt führt Sie zu mir?«
    »Wir sehen uns einige Pflegekinder genauer an und -«
    »Lee hat vor drei Monaten Selbstmord begangen«, sagte Ramos. »So haben alle sie genannt. Lee. Wenn Sie das Geringste von ihr wüssten, dann wüssten Sie auch, dass sie ›Wilfreda‹ gehasst hat.«
    Milo schwieg.
    »Sie war sechzehn«, sagte Ramos.
    »Ich weiß, Sir«, sagte Milo. Es kommt selten vor, dass er zu jemandem aufblicken muss. Es gefiel ihm nicht.
    »Was für Eltern würden ihr Kind Wilfreda nennen?«, sagte Ramos.
    Wir drei hatten eine Bank auf der Westseite des Rasens gefunden.
    »Was wollen Sie wissen?«, fragte George Ramos.
    »Welche Erfahrungen Lee als Pflegekind gemacht hat.«
    »Was ist, gibt es einen Skandal?«
    »Vielleicht etwas in der Art.«
    »Ihre Erfahrungen«, sagte Ramos. »Für Lee war es leichter, bei einer Pflegefamilie als zu Hause zu sein. Ihr Vater - mein Stiefvater - ist ein Faschist. Dieses Predigerpaar, bei dem sie gewohnt hat, hat nicht groß auf sie aufgepasst. Maßgeschneidert für jemanden wie Lee.«
    »Was meinen Sie damit?«, fragte Milo.
    »Lee hat schon im Mutterschoß rebelliert, hat immer gemacht, was sie wollte. Sie wurde schwanger, als sie bei der Pflegefamilie war, und hatte eine Abtreibung. Der Gerichtsmediziner hat uns das nach der Obduktion gesagt. Die Prediger haben Gutes von ihr erzählt, aber ich habe den Eindruck, sie haben das Geld kassiert und Lee ihren Willen gelassen.«
    »Welcher Gerichtsmediziner hat Ihnen das gesagt?«
    »Der vom Santa Barbara County. Lee hat bei ein paar Junkies in Isla Vista gewohnt, als sie …« Ramos nahm die Brille ab und rieb sich die Augen.
    »Das war, als sie die Pflegefamilie verlassen hatte«, sagte Milo.
    Ramos nickte. »Der Faschist hat ihr schließlich erlaubt, unter der Bedingung nach Hause zu kommen, dass sie sich an alle Regeln hält. Sie war zwei Tage zu Hause, bevor sie weglief. Der Faschist hat gesagt, sie sollte mit den Konsequenzen ihres Verhaltens leben, und meine Mutter hat schon immer völlig unter seiner Knute gestanden. Also hat niemand nach Lee gesucht. Wir haben nach ihrem Tod

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