Bluttat
rausgefunden, wo sie gewohnt hat. In einer Bruchbude in Isla Vista - zehn Kids lebten da wie die Tiere.«
Ich sagte: »Der Faschist ist nicht Ihr Vater, aber Sie und Lee hatten denselben Nachnamen.«
»Haben wir nicht. Sie heißt Monahan. Als er so sauer auf sie war, dass er sie unter Vormundschaft der Fürsorge stellte, hatte er ihre Klamotten verbrannt und sie ausgesperrt und ihr gesagt, sie wäre nicht mehr seine Tochter. Sie sagte, leck mich doch, und fing an, sich Ramos zu nennen.«
»Netter Kerl«, sagte Milo.
»Ein echter Traumtyp«, erwiderte Ramos und ließ seine Knöchel knacken. »Sie hat mich aus Isla Vista angerufen, weil sie wollte, dass ich ihren Namen offiziell ändern lasse. Als ich ihr sagte, das ginge nicht, weil sie minderjährig ist, hat sie aufgelegt.«
»Sie wird als ›Ramos‹ auf staatlichen Dokumenten geführt«, sagte ich.
Ramos lachte. »Der Staat kann seinen Arsch nicht von einem Mondkrater unterscheiden. Es gibt wenig am System, was nicht geändert werden muss.«
»Ist das der Grund, warum Sie Jura studieren?«, fragte Milo.
Ramos starrte ihn an. »Das ist ein Scherz, stimmt’s?«
Milo lächelte.
»Klar, ich reiße mir den Arsch auf, um mich mein Leben lang mit einer geistlosen Bürokratie und beschissener Bezahlung rumzuschlagen«, sagte Ramos. Er lachte. »Wenn ich fertig bin, werde ich Firmenanwalt.«
Wir redeten noch eine Viertelstunde mit ihm. Am Ende übernahm ich zum größten Teil das Reden, weil das Thema sich auf mein Fachgebiet verlagert hatte.
Wilfreda Lee Monahan/Ramos hatte schwere Lernbehinderungen gezeigt und den Schulbetrieb gestört, so lange ihr Bruder sich zurückerinnern konnte. George Ramos’ Vater war gestorben, als er fünf war, und ein paar Jahre später hatte seine Mutter einen Marineinfanteristen geheiratet, der der Ansicht war, Kindererziehung sei eine Variante der Grundausbildung.
Für Lee hatte die Pubertät aus häufigem Partnerwechsel, Drogen und derart starken Stimmungsschwankungen bestanden, dass ich hätte wetten mögen, sie seien auf mehr als Drogenmissbrauch zurückzuführen. Mit vierzehn hatte sie zwei Selbstmordversuche hinter sich - Hilfeschreie per Überdosis. Oberflächliche Therapieversuche folgten, zusammen mit einer Flut gegenseitiger Beschuldigungen zu Hause. Als ihr Vater sie in ihrem Schlafzimmer beim Geschlechtsverkehr mit einem Jungen ertappte, warf er sie aus dem Haus.
George Ramos wusste nichts von irgendwelchen bemerkenswerten Problemen während der sechs Monate, die sie bei den Daneys verbracht hatte, aber er gab mit niedergeschlagenen Augen zu, dass er sie kein einziges Mal besucht hatte.
Lee Ramos hatte ihre Pflegefamilie einen Monat vor ihrem sechzehnten Geburtstag verlassen. An ihrem Geburtstag war sie zu Hause geblieben, während ihre Mitbewohner zum Feiern ausgingen. Kurz nach Mitternacht schnitt sie sich mit einem rostigen Dosenöffner die Pulsadern auf, legte sich auf eine schäbige Matratze und verblutete.
32
Nach dem Gespräch über seine Schwester war George Ramos blass und erschöpft.
Milo entschuldigte sich für die Belästigung. Ramos sagte: »Sie machen ja nur Ihren Job«, und starrte aufs Gras.
»Haben Sie Verbindung zu den Daneys aufgenommen?«, fragte ich.
»Ich habe sie nach Lees Tod einmal angerufen. Fragen Sie mich nicht, warum. Vielleicht glaubte ich, es würde sie interessieren.«
»Und das war nicht der Fall?«
»Ich hab mit der Frau gesprochen - Charity, Chastity, etwas in der Art -«
»Cherish.«
»Genau«, sagte er. »Sie brach zusammen, schluchzte, wurde fast hysterisch. Vielleicht bin ich ja zynisch, aber ich fand es ein bisschen übertrieben.«
»Sie hat Theater gespielt?«, fragte Milo.
»Sie hatten Lee nur ein paar Monate, und offensichtlich haben sie nicht besonders gute Abeit geleistet.«
»Haben Sie ihr das gesagt?«
»Nein«, antwortete Ramos. »Hab ich nicht - war nicht in der Stimmung dazu.«
»Hat Cherish Daney irgendetwas getan, das Sie auf die Idee brachte, ihr Kummer könnte nur gespielt sein?«
»Nein, aber wer weiß das schon?«, sagte Ramos. »Wer weiß überhaupt irgendwas?«
»Haben Sie je mit ihrem Mann gesprochen?«
»Nee, nur mit ihr.« Ramos stand auf und schnappte sich seine Bücher und den Laptop.
»Hat Lee je eine Andeutung über ihre Schwangerschaft fallen lassen?«, fragte ich.
Ramos’ langes Gesicht wurde traurig. »Kapiert ihr es nicht? Wir haben nicht miteinander geredet .«
Er ließ die Bücher herunterhängen, drückte den Laptop an
Weitere Kostenlose Bücher