Bluttat
sie und las. »Wo haben Sie das gefunden, Sir?«
»Als ich mich im Haus umgesehen habe, warf ich einen Blick ins Schlafzimmer und sah das auf dem Schreibtisch liegen.« Wascomb fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Es fiel mir auf, weil es in der Mitte des Schreibtischs auf einem Stück Löschpapier lag. Als ob sie wollte, dass ich es sah.«
»Waren die Blätter gefaltet?«
»Nein. Es sah wirklich so aus, als hätte sie beabsichtigt, dass ich sie las.«
»Lag sonst noch etwas auf dem Schreibtisch?«
»Füller, Bleistifte«, sagte Wascomb. »Und eine Kassette. Die Art, die Banken in Schließfächern benutzen. Die habe ich natürlich nicht berührt.«
Milo reichte mir die Papiere. Zwei Seiten in einer säuberlichen, vorwärtsgeneigten Kursivschrift.
DIE HERDE: ANWEISUNGEN ZUR TÄGLICHEN VERSORGUNG
1. Patricia: Laktosesensitiv (Sojamilch im Kühlschrank). Braucht Hilfe beim Lesen und Schreiben.
2. Gloria: Ritalin 10 mg vor dem Frühstück, 10 mg vor dem Abendessen, Probleme mit der Selbstachtung, macht Fortschritte in allen Förderbereichen, braucht aber viel mündliche Ermutigung.
3. Amber: Ritalin 15 mg vor dem Frühstück, 10 mg vor dem Abendessen, Allegra 180 mg bei Bedarf gegen Heuschnupfen, Penicillin-Allergie, Schalentier-Allergie, mag kein Fleisch, sollte aber angehalten werden, Hähnchen zu essen; Mathematik, Lesen, Schreiben …
Milo sagte: »Sieht so aus, als hätte sie Vorbereitungen für eine längere Abwesenheit getroffen.«
»Cherish war schon immer eine gut organisierte Studentin«, sagte Wascomb. »Falls sie für einen längeren Zeitraum verreist ist, hatte sie mit Sicherheit einen vernünftigen Grund dafür.«
»Welchen beispielsweise?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Lieutenant. Aber ich habe den allergrößten Respekt vor ihr.«
»Im Gegensatz zu Drew.«
Wascombs Gesicht wurde hart. »Ich bin sicher, Dr. Delaware hat Ihnen von unseren Problemen mit Drew erzählt.«
»Er ist auch verschwunden«, sagte Milo.
»Sie sind miteinander verheiratet.«
»Glauben Sie, sie sind zusammen weggegangen?«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll, Sir«, sagte Wascomb.
»Als Cherish Sie anrief, hat sie nichts davon erwähnt, dass sie weggehen wollte, Reverend?«
»Nein, hat sie nicht, Lieutenant. Ich hatte erwartet, sie hier anzutreffen, als ich ankam. Wenn Cherish Sie nicht angerufen hat, Sir, darf ich fragen, warum Sie hier sind?«
»Als Freund und Helfer, Reverend.«
»Ich verstehe«, sagte Wascomb. »Werden Sie mich noch länger brauchen? Ich wäre froh, Fultons Unterstützung für die Kinder zusichern zu dürfen, auf kurze Sicht. Andererseits -«
»Könnten Sie noch ein bisschen hierbleiben?«, fragte Milo. »Und mir diese Kassette zeigen?«
»Sie steht mitten auf dem Schreibtisch, Lieutenant. Ich sollte zu Mrs. Wascomb zurückkehren.«
Milos Hand legte sich auf Wascombs Ärmel. »Bleiben Sie noch eine Weile, Reverend.«
Wascomb strich seine Haare glatt, die sich sofort wieder aufrichteten. »Selbstverständlich.«
»Ich weiß das zu schätzen, Sir. Jetzt kümmern wir uns um die Herde.«
Das Innere des Würfels, der keine vierzehn Quadratmeter maß, bestand aus einem roten Zementfußboden und in einem rosafarbenen Beige gestrichenen Wänden. Drei Etagenbetten aus Holz waren an die Seitenwände gestellt, zwei links, eins rechts. Eine Kabine aus weißem Fiberglas in der hinteren rechten Ecke war als Toilette ausgewiesen. Blumenaufkleber schmückten die Tür.
Ein schmaler Wandstreifen wurde von drei verbeulten Metallspinden eingenommen. Ein Aufkleber mit den Worten Lagerbestand Vereinigter Schulbezirk L.A. klebte am Fuß von einem, Initiative Spontane Akte der Freundlichkeit auf einem andern.
Das einzige Fenster war in die Rückwand eingelassen, mit einem Fliegengitter versehen und zugeschraubt. Die Glasscheibe war so breit, dass sie einen Trichter diffusen, staubigen Lichts hereinließ. Mit Tieren bedruckte Vorhänge waren zurückgezogen worden. Man hatte die Aussicht auf den Zaun, der das Grundstück nach hinten abschloss, und das schwarze Teerdach der Garage eines Nachbarn.
Unter der Fensterbank stand eine niedrige Kommode mit sechs Schubladen. Obendrauf lagen Stofftiere und Kosmetika in Tuben, Flaschen und Dosen. Auf einer Seite befand sich ein Stapel Bibeln.
Acht Mädchen in pastellfarbenen Schlafanzügen und flauschigen weißen Socken saßen auf den drei unteren Etagenbetten.
Acht Augenpaare beobachteten uns. Die Altersspanne war schmal, meiner Schätzung nach
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