Bluttat
»Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie Polizeipsychologe sind?«
»Ich berate die Polizei, Dr. Wascomb.«
»Ich verstehe. Geht es hier um Baylord Patterman?«
»Wie bitte?«
Kurze Pause. »Egal«, sagte er. »Womit kann ich Ihnen helfen?«
»Tut mir leid, dass ich Sie so spät störe, Doktor, aber ich würde gern mit Ihnen über eine ehemalige Fulton-Studentin sprechen.«
»Wie heißt sie?«
»Cherish Daney.«
Pause. »Ist mit Cherish alles in Ordnung?«
»Bis jetzt schon.«
»Also ist sie nicht das Opfer von irgendetwas Furchtbarem geworden.« Er hörte sich erleichtert an.
»Nein. Gibt es einen Grund dafür, dass Sie auf diesen Gedanken kommen?«
»Die Polizei verkündet im Allgemeinen keine frohen Botschaften. Warum sind Sie an Cherish interessiert?«
»Man hat mich gebeten, etwas über ihren Hintergrund in Erfahrung zu -«
»In welchem Zusammenhang?«
»Es ist ein bisschen kompliziert, Dr. Wascomb.«
»Nun ja«, sagte er, »ich werde bestimmt nicht mit Ihnen am Telefon über etwas Kompliziertes reden.«
»Könnten wir uns irgendwo treffen?«
»Um über Cherish zu reden?«
»Ja.«
»Ich muss Ihnen sagen, dass ich nur Gutes über Cherish zu sagen habe. Sie war eine unserer besten Studentinnen. Ich kann mir nicht vorstellen, aus welchem Grund die Polizei etwas über ihren Hintergrund in Erfahrung bringen möchte.«
»Warum hat sie kein Examen gemacht?«, fragte ich. Und wer ist Baylord Patterman?
»Vielleicht sollten wir uns doch treffen«, sagte Wascomb.
»Ich würde gern in Ihr Büro kommen.«
»Mein Bürokalender ist ziemlich voll«, erwiderte er. »Ich blättere ihn mal eben durch … Es scheint, als hätte ich morgen noch eine Lücke. Um dreizehn Uhr, meine übliche Mittagspause.«
»Das passt mir gut, Dr. Wascomb.«
»Ich hätte nichts dagegen, vom Campus wegzukommen«, sagte er. »Aber es muss irgendwo in der Nähe sein, ich habe nur fünfundvierzig Minuten …«
»Ich kenne ein Lokal«, sagte ich. »Ein Stück südlich von Ihnen am Brand Boulevard. Patty’s Place.«
»Patty’s Place … da bin ich seit Urzeiten nicht mehr gewesen. Als das Seminar renoviert wurde, hab ich mich manchmal dort mit Studenten getroffen - wussten Sie das, Sir?«
»Nein«, sagte ich. »Ich mag nur Pfannkuchen.«
Baylord Patterman erzielte bei Google fünf Treffer. Der Rechtsanwalt mit Sitz in Burbank war vor einem Jahr verhaftet worden, weil er einen Versicherungsbetrug im großen Stil organisiert hatte, bei dem es um vorgetäuschte Verkehrsunfälle ging. Zu der Festnahme war es gekommen, als ein kleiner Blechschaden am Riverside Drive sich zu einer Airbag-Katastrophe entwickelte, bei der ein fünfjähriges Mädchen ums Leben kam. Patterman, seine Fahrer, zwei beteiligte Chiropraktiker und diverse Versicherungsangestellte wurden wegen eines Verkehrsunfalls mit Todesfolge angeklagt. In den meisten Fällen einigte man sich vor Gericht auf Wirtschaftsverbrechen. Patterman wurde der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden, aus der Anwaltskammer ausgeschlossen und zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren in einem Staatsgefängnis verurteilt.
Die Verbindung zum Fulton Seminary tauchte in zwei Verweisen auf: Patterman war der Sohn eines der Gründungskuratoren des Seminars und unterstützte es weiterhin durch Spenden. Dr. Crandall Wascomb wurde mit den Worten zitiert, er sei sich der dunklen Seite seines Wohltäters »nicht bewusst gewesen und nachgerade entsetzt über sie«.
Falls er es ernst meinte, tat er mir leid. Da hatte er nun die ganzen Jahre Tugend gepredigt, und jetzt stand ihm wieder eine Enttäuschung ins Haus.
29
Das war offenbar meine Woche für Coffeeshops.
Patty’s Place roch nach Butter und Eiern, nach Fleisch auf dem Grill, nach Pfannkuchenteig, nach der Seifenlaugenbrise im Gefolge einer fröhlichen jungen hispanischen Kellnerin mit dem Namensschild Heather, die mich mit den Worten begrüßte: »Nehmen Sie Platz, wo Sie wollen.«
Das Restaurant war halb gefüllt mit ernsthaften Essern im Pensionsalter. Große Portionen, hohe Gläser, gehaltvolle Gerichte. Zur Hölle mit den Food-Faschos. Meine Anwesenheit senkte das Durchschnittsalter um ein Jahrzehnt. Ich setzte mich in eine Nische mit Blick auf den Eingang, und die fröhliche Heather brachte mir einen Becher mit gefährlich heißem Kaffee, der mit prätentiöser Etikettierung nichts am Hut hatte.
Dr. Crandall Wascomb erschien um sieben nach eins, zog an seinem Krawattenknoten und glättete sein weißes Haar. Er war
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