Bluttrinker (German Edition)
wesentlich
bessere Karten. Wir besorgen uns bei diesen Sterblichen, was wir brauchen. Wir
werden uns beeilen müssen. Wenn diese Mistkerle zurück in die Stadt gefahren
sind, benötigen sie etwas mehr als eine Stunde, um nach Sonnenuntergang wieder
an Ort und Stelle zu sein. Für den Marsch hierher haben wir fast anderthalb
Stunden gebraucht. Das werden sie wesentlich schneller schaffen, wenn sie sich
erst auf unsere Fährte geheftet haben.“
„Ich hatte gehofft, der Regen würde unseren Geruch wegwaschen.“
Johann lachte freudlos. „Das tut er auch. Allerdings haben wir in den Feldern
eine Spur hinterlassen, für die es keine Nase braucht, um ihr zu folgen.“
Tony stöhnte. Daran hatte sie nicht gedacht.
“Es wäre gut, wenn wir heute Abend nicht länger als eine halbe Stunde
benötigten, um von hier zu verschwinden. Ich hoffe nur, in der Garage da drüben
steht ein Auto.“
38
Noras Zähne klapperten. Ihre Lippen waren blau angelaufen
und Tony wusste, dass sie selbst nicht besser aussah. Sie mussten die
durchnässten Sachen loswerden.
Johann half seiner bibbernden Gefährtin und sorgte dafür, dass sie sich tief in
einen Haufen Heu eingrub, der sie hoffentlich warm halten würde. Dann
unterstützte er Tony, Lukas aus seiner blutgetränkten Kleidung zu schälen.
„Er kann zwar keine Erfrierungen bekommen, aber er braucht
schon seine gesamten Reserven, um die Verletzungen zu heilen“, bemerkte er. Mit
einer Erleichterung, die sie schwindelig machte, untersuchte Tony die
schreckliche Wunde in Lukas Bauchdecke. Sie hatte sich bereits geschlossen und
eine rote, gezackte Narbe zeigte sich an ihrer Stelle.
„Es könnte trotzdem noch ein paar Stunden dauern, bis er zu
sich kommt. Die meisten Verletzungen dürften innerlich sein.“
Gemeinsam bedeckten sie Lukas mit einem kleinen Strohberg. Dann machte Johann
Anstalten, Tony aus ihren Stiefeln zu helfen.
„Ich schaffe das schon“, wehrte sie ab.
Johann ließ sie los, blieb jedoch bei ihr, achtete darauf, dass sie sich
komplett auszog. Tony fühlte sich völlig entkräftet. Sie brachte nicht mal die
Energie auf, es peinlich zu finden, dass Johann ihr zusah. Schließlich war sie
doch noch dankbar, dass der Bluttrinker ihr half, sich nah an Lukas wärmenden
Körper gedrängt ins Heu einzubuddeln.
„Du hast also Lukas Antrag angenommen?“ Johanns unerwartete
Frage brachte Tony in Verlegenheit.
„Eigentlich … nein, eigentlich nicht.“
„Er hat dir das Adermesser gegeben. Und du trägst es.“
Tatsächlich war die lange Kette mit dem röhrenförmigen Anhänger das Einzige,
was Tony am Leib trug.
„Er sagte, ich soll drüber nachdenken. Ich habe ihm noch nicht geantwortet. Er
kommt doch wirklich wieder in Ordnung, nicht wahr?“
In dem aufgetürmten Stroh tasteten Tonys Hände nach Lukas Haut. Er glühte, als
hätte er hohes Fieber.
„Er kommt wieder in Ordnung. Weißt du schon, was du ihm sagen wirst?“ Als Tony
mit der Antwort zögerte, seufzte Johann. Einen solchen Laut hatte sie von dem
entschlossenen, dynamischen Mann zuvor nicht gehört.
„Diese Nacht muss die schlimmste deines Lebens gewesen sein. Und es ist noch
nicht vorbei. Bitte denk daran, dass wir nicht alle so sind.“
Tony streckte eine Hand aus dem Stroh hervor und legte sie dem neben ihr
hockenden Bluttrinker auf den Arm.
„Das weiß ich, Johann. Wirklich! Aber was ist, wenn er es in ein paar Jahren
bereut? Wenn er eine Frau trifft, die besser zu ihm passt? Es ist so endgültig.
Ich frage mich, ob ihm das überhaupt klar ist. Vielleicht ist er ja noch gar
nicht reif genug, um eine solche Entscheidung zu treffen. Vielleicht sind wir
das beide nicht.“
Lukas Vater verzog die Lippen zu einem Lächeln, doch die
Erschöpfung ließ eine Grimasse daraus werden.
„Niemand ist jemals reif genug für eine solche Entscheidung.“ Er schüttelte
langsam den Kopf, bevor er sehr leise sagte: „Ich hätte nie gedacht, dass ich
jemals so etwas von mir geben würde. Erzähl Nora nichts davon, ja!
Versuch nicht, diese Entscheidung mit dem Kopf zu treffen. Das funktioniert
nicht. Die wirklich wichtigen Dinge kann man nur mit dem Herzen entscheiden.“
Johann drängte nicht weiter auf eine Antwort. Nach einem
letzten Blick in Tonys tränengefüllte Augen wandte er sich ab und überließ sie
ihren Gedanken.
Stoff zum Nachdenken hatte sie so viel, dass sie trotz ihrer maßlosen
Erschöpfung nicht damit rechnete schlafen zu können.
Umso überraschter war sie, als vorsichtige Bewegungen direkt
neben
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