Bluttrinker (German Edition)
Tisch übereinandergestapelten Bildschirme gaben pixelige Infrarotbilder
der Umgebung wieder.
Lukas berichtete Jamal so knapp wie möglich, warum er
größere Wachsamkeit angeordnet hatte. Er war erleichtert, dass der Jäger seine
Erklärung ohne jeden Kommentar beließ. Nach einem kurzen Moment der
Überraschung verkniff er es sich sogar, Lukas verblüfft anzustarren.
Es war wenige Minuten vor elf, als Jörgen „freie Bahn“ meldete.
„Ich habe Viktor am Rohr“, verkündete Charly in die
angespannte Stille hinein.
Viktor war der Wächter, der die Aufgabe hatte, den der Straße abgewandten Teil
des Hauptquartiers außerhalb der Reichweite der Kameras abzusichern. Er war
einer der Männer, von denen Lukas erwartete, dass sie bei Johann eine
offizielle Beschwerde gegen ihn einreichen würden. Schließlich zwang die
erhöhte Alarmbereitschaft den erfahrenen Wächter völlig grundlos, eine frostklirrende
Nacht im knietiefen Schnee zu verbringen. Auch wenn Minusgrade einem
Bluttrinker keinen Schaden zufügten, hieß das nicht, dass er eine stundenlange
Wache in eisiger Kälte amüsant finden würde. Viktor war stinkwütend gewesen,
als Lukas ihn nach draußen schickte. Nicht, dass er ein Wort des Widerspruchs
hätte verlauten lassen. Zum hundertsten Mal schalt Lukas sich einen Narren, auf
Tonys Befürchtungen eingegangen zu sein.
„Stell ihn rein!“
„Lukas?“ Viktors Stimme klang gepresst aus dem Lautsprecher. „Erinnere mich
daran, dass ich mich bei deiner Frau entschuldige, wenn ich wieder reinkomme.“
„Was ist los?“
„In Sektor 10 ist soeben ein Konvoi von fünf Kleinbussen aufgetaucht. Sie
nähern sich dem Überwachungsradius in einer Tangente.“
„Bleib dran!“
„Worauf du dich verlassen kannst!“
„Wirst du Jeremias und Johann von der Entwicklung
berichten?“
Jamals Frage klang ausschließlich neugierig. Der Jäger hatte von Anfang an
klargestellt, dass er es begrüßte, wenn Johann seinem Sohn den Befehl über sein
Hauptquartier übertrug.
„Sie können uns nicht helfen, oder? Bodo gegenüberzutreten ist selbst für
Jeremias eine Nervenprobe.“
Die Vorstellung, der Begründer ihrer Organisation könnte in dieser Nacht sein
Leben verlieren, war zu erschreckend, um sie sich auszumalen. Seit
Jahrhunderten bildete Jeremias eine Konstante im Leben, nicht nur der Jäger,
sondern womöglich aller Bluttrinker.
Eine Welt ohne Jeremias? Unvorstellbar!
„Johann kann von Dresden aus nichts tun. Wir würden sie nur zusätzlich
belasten. Davon abgesehen, dass wir noch nicht genau wissen, was da draußen vor
sich geht.
Nein“, beschloss Lukas. „Ich werde es ihnen nicht sagen. Nicht bevor sie ihren
Job erledigt haben. Sie brauchen alle Konzentration, die sie aufbringen
können.“
Lukas schickte zwei weitere Wächter aus, um Viktor zu
unterstützen. Keiner der Männer verzog auch nur das Gesicht. Sie wussten
bereits, was Viktor beobachtet hatte. Die übrigen Wachen hatten die Meldung
ebenfalls gehört. In regelmäßigen Abständen klang ihr: „Keine besonderen Vorkommnisse!“
aus den Lautsprechern.
Schließlich erreichten die fremden Fahrzeuge den Punkt, an
dem der verschneite Forstweg dem Hauptquartier am nächsten kam. Der Konvoi
hielt an.
„Sie steigen aus“, meldete Viktor, der sich in sicherer
Entfernung im Gestrüpp verbarg. „Sie verteilen sich gleichmäßig im Halbkreis in
beide Richtungen. Sie sind schwer bewaffnet und umzingeln uns!“
Lukas glaubte das Schaudern in der Stimme des Wächters zu hören, als er
weitersprach.
„Die sind nicht irgendwer. Ich habe noch nie so viele alte Bluttrinker auf
einem Haufen gesehen.“ Lukas hörte den Wächter schlucken. „Das sind die Krieger
der Alten Götter.“
Lukas erschien als Letzter im Konferenzsaal. Er ließ sich in
den Sessel an der Stirnseite des Tisches fallen und überblickte seine Streitmacht .
Jeder, der sich im Hauptquartier aufhielt und nicht an anderer Stelle
unabkömmlich war, hatte sich eingefunden. Seine Zuhörerschaft bestand
dementsprechend aus fünf Wächtern, dreizehn Gefährtinnen, Tony und Jamal.
Im Hintergrund des Raumes saß Marius auf einem der Reservestühle, die an der
Wand aufgereiht standen. Der Ratsmann machte nicht den Eindruck, als könnte er
irgendjemandem eine Hilfe sein. Seine Versuche, von anderen Spendern Blut
anzunehmen, wurden immer schwieriger. Andere Menschen als seine Gefährtin
konnten ihn nicht sättigen. Er sah ausgemergelt und kraftlos aus, wie er
zusammengesunken in der Ecke
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