Bluttrinker (German Edition)
wahrscheinlich passieren lassen. Das sollte ausreichen, um alle
Frauen rauszubringen.“
Alle redeten durcheinander.
„Unser einziger Vorteil ist die Überraschung. Damit verraten wir ihnen nur,
dass wir Bescheid wissen.“
„Wenn sie misstrauisch werden, nehmen sie uns grade dann gefangen.“
„Ich werde auf keinen Fall gehen“, sagte Nora fest.
„Doch, du musst gehen. Schon, weil du Tony mitnehmen musst.“
„Aber ich will nicht!“, protestierte Tony sofort. „Ich werde dich nicht alleine
lassen, damit du dich aus irgendeinem dummen Heldenmut heraus töten lässt!“
Ihr standen Tränen in den Augen und sie zitterte. Aber sie war nicht weniger
entschlossen als die anderen Frauen.
Die Älteste unter den Gefährtinnen war Diegos Frau, Sophia.
Es hieß, dass sie einem alten, europäischen Königshaus entstammte. Angeblich
war sie vor vielen Jahrhunderten Diegos Gefährtin geworden, um einer politisch
motivierten Zwangsheirat zu entgehen. Obwohl ihre körperliche Erscheinung die
eines Teenagers war, ging etwas Hoheitsvolles von ihr aus. Der reife Ausdruck
ihrer grauen Augen strafte ihr jugendliches Aussehen lügen. Alle am Tisch
verstummten, auch die Bluttrinker, als Sophia das Wort ergriff.
„Es ehrt dich, Lukas, dass du die Gefährtinnen deiner Kameraden in Sicherheit
bringen willst. Aber im Grunde begehst du den gleichen Fehler wie Max!“
Zufrieden registrierte die Spanierin, dass sie Lukas ungeteilte Aufmerksamkeit
hatte, bevor sie fortfuhr.
„Man sollte meinen, dass deine Generation den Wert einer Frau besser
einzuschätzen weiß. Betrachte uns nicht nur als hilflose Beute. Deine
Möglichkeiten zur Gegenwehr sind ohnehin eingeschränkt. Du solltest deine
Streitmacht nicht noch weiter schwächen, indem du uns wegschickst.“
„Wenn du etwas vorzuschlagen hast, Sophia, bin ich ganz Ohr.“
Eine halbe Minute vor zwölf traf der kurze Funkimpuls in der
Kommandozentrale des Hauptquartiers ein, der Jeremias Angriffssignal war.
In Dresden erhoben sich zwanzig Bluttrinker aus ihren
Deckungen und bewegten sich auf den Garten der Villa zu. Als um punkt
Mitternacht sämtliche Kirchen Dresdens das neue Jahr einläuteten, starteten
auch die Ersten der von Arne und seinem Team installierten Feuerwerksraketen.
Johann richtete den Lauf seiner Glock auf das Schloss der massiven, stählernen
Kellertür. Wenige Schritte von ihm entfernt splitterte Glas, als drei seiner
Kollegen gleichzeitig durch die Terrassentüren brachen, um das Erdgeschoss der
Villa zu betreten. Johanns Schüsse fielen im selben Moment, als in
unmittelbarer Nachbarschaft mehrere Raketen zündeten.
Johann spürte Jeremias und Diegos Präsenz hinter sich, als
er die Stahltür aufstieß und in den dunklen Kellerflur trat. Die Jäger konnten
die Personen im Inneren des Gebäudes nur undeutlich ausmachen. Der Stahlbeton
des neuen Kellers dämpfte die Ausstrahlung.
Jeweils in der linken Hand eine Schusswaffe und in der
rechten ein Schwert, jede Sekunde auf einen Angriff gefasst, folgten die drei
Jäger dem kahlen Flur. Dabei passierten sie mehrere Türen, hinter denen sich
eindeutig Menschen aufhielten. Gefängniszellen, welche die Beute der Alten
beherbergten. Aber darum konnten die Jäger sich jetzt nicht kümmern.
Johann hoffte, dass hinter einer dieser Türen Marius
Gefährtin noch am Leben war. So wenig er den Ratsherrn persönlich mochte, ein
solches Schicksal wünschte er keinem Artgenossen.
Ebenso hoffte er, Etienne und seine Mädchen wiederzufinden. Mit sehr viel Glück
vielleicht sogar Jan und seinen Freund. Da er Zeuge gewesen war, wie Helmar auf
Jans Verrat reagiert hatte, machte er sich, was ihn betraf, allerdings keine
großen Hoffnungen.
Jeder Schritt führte die Jäger tiefer in das Reich ihrer
Feinde und gleichzeitig wuchs ihr Argwohn. Warum gab es noch immer keine
Gegenwehr? Begaben sie sich gradewegs in eine Falle?
Johann empfand es beinahe als Erleichterung, als Lärm von Schüssen und Schreien
aus dem Erdgeschoss zu ihnen drang. Oben waren Jäger auf Feinde getroffen. Erst
als er Jeremias gemurmeltes „Weiter!“ vernahm, wurde ihm bewusst, dass er
lauschend stehen geblieben war.
Sie konnten nur auf die Richtigkeit ihrer Einschätzungen hoffen. Wenn andere
Jäger zuerst auf Bodo trafen, bedeutete das wahrscheinlich deren Tod. Nur
Jeremias hatte eine reelle Chance, den wahrhaft alten Gott zu besiegen.
Sie gelangten an eine Gablung des Ganges. Dunkelheit, nur
von Vampiraugen zu durchdringen, erstreckte sich in zwei
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