Bluttrinker (German Edition)
weil Etienne
mit Yvette irgendein Ritual durchgeführt hätte, wäre er nicht mehr gierig?“
„Ich dachte, Nora hätte dir das gesagt. Tatsächlich war ich überzeugt, sie
würde dir das als Erstes erzählen. – Wenn ein Bluttrinker sich mit seiner
Gefährtin durch das Blutritual verbindet, kann er nur noch von ihr Blut
annehmen. Und er ist nur noch bei ihr potent. Das hat nichts mit den
persönlichen Vorlieben zu tun.“
„Nein“, entgegnete Tony dumpf, „Davon hat Nora nichts erwähnt.“
„Es ist endgültig und unauflösbar. Es gibt nur sehr wenige Bluttrinker, die
eine Trennung von ihrer blutsverbundenen Gefährtin – meist durch den gewaltsamen
Tod der Frau – überlebt haben. Vielleicht zwei Dutzend auf der ganzen Welt.“
Tony hatte plötzlich das Bedürfnis, sich irgendwo zu
verkriechen und zu weinen. Nora hatte es beinahe geschafft, sie glauben zu
machen, Lukas wollte sie als seine Gefährtin. Sie musste das alles gründlich
missverstanden haben. Lächerlich, zu glauben, Lukas könnte das wollen.
Mit ihr !
Sie war dankbar für ihr Zögern, das sie davor bewahrt hatte,
ihn zu bitten, sie sein Blut trinken zu lassen. Ohne Zweifel hätte es ihrer
Beziehung den Todesstoß versetzt, hätte sie, wenn auch ohne es zu wissen, einen
derartigen Anspruch an ihn gestellt.
Tony trank ihr Glas aus. Tatsächlich fühlte sie sich
angenehm gesättigt. Lukas half ihr vom Barhocker. War sie jemals so müde
gewesen?
„Komm, du musst schlafen. Du bist seit zwanzig Stunden auf den Beinen.“
Tony ließ sich von Lukas zurück in die Suite führen und fragte sich, ob je
zuvor jemand dieses Bett zum Schlafen benutzt hatte.
20
Es war noch immer Sonntag, beinahe Mitternacht. Lukas nahm
an dem großen Esstisch Platz, an dem seine Eltern und Tony bereits saßen. Nora
redete auf Tony ein, eine Scheibe gebeizten Wildlachs zu probieren.
Johann hatte, wie üblich, einen Stapel Zeitungen und
Computerausdrucke vor sich.
Während Nora ihren Sohn mit einem fröhlichen: „Guten Abend, mein Lieber!“
begrüßte, grunzte Johann nur. Er faltete das Stück Zeitung wieder zusammen, in
dem er grade gelesen hatte und Lukas fühlte seinen Blick missbilligend auf sich
ruhen.
Da er keine Ahnung hatte, was den Unmut seines Vaters erregt haben mochte,
beschloss er, ihm den ersten Schritt zu überlassen. Er schnappte sich eine
Zeitung, mit der Johann fertig war, und hörte mit halbem Ohr seiner Mutter zu.
Sie unterhielt Tony mit einer Geschichte über die Frühstücksgewohnheiten vergangener
Jahrhunderte.
„Wie geht es Etienne?“
„Großartig.“ Lukas fragte sich, ob Johann so schnell herausgefunden haben
konnte, dass er seinen Kreditrahmen überzogen hatte. „Das Raven erfreut
sich steigender Beliebtheit. Der Kerl wird reich werden. Aber das haben wir ja
immer gewusst.“
„Hast du sonst jemanden bei Etienne getroffen?“
Lukas legte die Zeitung weg. Das hörte sich nicht nach einem überzogenen Konto
an.
„Ja, hab´ ich tatsächlich. Peter war da. Er hasst mich immer noch wie die
Pest.“
„Das erklärt es vielleicht.“
Johann zog aus seinem Papierstapel einen Computerausdruck hervor und hielt ihn
seinem Sohn unter die Nase.
Lukas griff danach und las.
„Diese verfluchte Kanalratte!“, brach es aus ihm heraus, nachdem er die Zeilen
überflogen hatte.
Noras und Tonys Gekicher verstummte. Beide starrten Lukas an.
„Was ist das?“ Nora fragte ihren Mann, aber Lukas antwortete ihr.
„Das ist eine Anzeige, in der Johann der Korruption beschuldigt wird. Hier
heißt es, dass ich mich, als Gegenleistung für gewisse kostspielige
Dienstleistungen, bereit erklärt habe, auf Johann einzuwirken, damit er
bestimmte Missstände bezüglich des Schutzes sterblichen Lebens vertuscht, die
angeblich in einer Kölner Blutbar festgestellt wurden.“
„Was?“ Tony verstand kein Wort.
„Du hast doch gehört, was Etienne alles machen muss, um seine Angestellten zu
schützen? Das kostet Geld und Mühe. Manche nehmen es mit diesen Vorschriften
nicht so genau, oder versuchen zumindest irgendwo zu knausern.“ Er wandte sich
an seinen Vater. „Das Raven ist sauber wie ein Operationssaal. Etienne setzt
auf Qualität und verdient verdammt gut damit.“
Johann schüttelte den Kopf. „Das ist nicht das Entscheidende. Die erste Frage
lautet: Hast du deine Rechnung bezahlt? Und die Zweite: Kannst du das auch
beweisen?“
Lukas atmete tief durch. Nachdem Etienne ihn bedrängt hatte, seine
Gastfreundschaft anzunehmen, war er sich beinahe albern
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