Blutwind
dem Licht ihrem gewundenen Wuchs. Darunter blitzte etwas auf.
Allan stand am Grabenrand und sah ihr zu.
»Von da unten hätte er uns alle abschießen können, als wir angerannt kamen.«
Sanne wühlte zwischen nassen Blättern und feuchter Erde und zerrte ein längliches Päckchen aus der schmalen Öffnung, in das es zwischen Wurzel und Erde eingeklemmt war.
»Er hat die Hunde gehört. Er wusste, dass wir ihn kriegen würden. Hier.« Sie warf ihm das flache Päckchen, das mit einer dicken Lage durchsichtigem Plastik und braunem Klebeband umwickelt war, vor die Füße.
»Was ist das?« Allan betrachtete das Päckchen.
»Er ist abgehauen, um es zu verstecken. Gehen wir zurück und sehen es uns mal näher an.«
Ein paar Beamte hatten den Verletzten auf dem Hof in die stabile Seitenlage gebracht. Er blutete stark am Hals und am Oberschenkel. Irgendjemand hatte ihm einen notdürftigen Verband angelegt. Die Beine zuckten in kurzen, abrupten Spasmen. Er verdrehte die Augen.
Ulrik ging ein Stück weiter auf und ab, die Hände in den Taschen, und trat in den Kies. Er sah auf, als Sanne auf ihn zukam. »Bist du okay?«
Sanne nickte. Zwei Polizisten setzten den anderen Mann auf den Rücksitz eines Streifenwagens. Allan half den Kollegen bei den Mädchen. Gregers Vestberg kam aus der Scheune.
»Was für eine Nummer, Ulrik!« Er zog eine Pfeife aus der Tasche, begann sie zu stopfen und blickte kurz auf den Verletzten auf dem Hofplatz. »Der ist tot, bevor der Krankenwagen hier ist.« Er zündete sich die Pfeife mit zwei Streichhölzern an. »Was ist eigentlich aus den beiden Brüdern geworden? Wolltet ihr nicht die erwischen?«
Ulrik knirschte mit den Zähnen. Der süßliche Geruch des Pfeifentabaks waberte über den Hof. Sanne fühlte sich plötzlich in ihre Kindheit versetzt und an den Duft der Abendpfeife ihres Vaters erinnert. Der Geruch hing auf unerklärliche Weise mit Nachrichtenbildern von Ausschreitungen in Kopenhagen zusammen. Ob Lars damals dabei war?
»Ich habe gerade mit ihren Beschattern gesprochen.« Ulrik wandte den Blick ab. »Sie sitzen in ihrem Club in der Abel Cathrines Gade. Und spielen Karten. Was ist da schiefgelaufen?«
Sanne wollte gerade den Mund aufmachen, als er sie unterbrach: »Nein, du sagst jetzt nichts.«
Er strich sich über Stirn und Wange. Er sah müde aus.
»Entschuldige. Gute Arbeit.«
Sanne reichte ihm das Päckchen.
»Vielleicht muntert dich das hier ein bisschen auf. Meriton und Ukë schmuggeln nicht nur Mädchen über die Grenze.«
Ulrik nahm das Päckchen entgegen, wog es in den Händen. Weißes Pulver glitzerte hinter der dicken Plastikschicht im Licht.
»Das sind mindestens zwei Kilo.«
»Deshalb hat er angefangen zu schießen.« Sie wies mit dem Kopf auf den Verletzten, der noch immer auf dem Hofplatz lag und zuckte. Ein Beamter versuchte, eine Kompresse an seinen Hals zu drücken. »Sein Komplize sollte offensichtlich Zeit bekommen, es zu verstecken.«
Gregers lebte auf, paffte seine auf- und abwippende Pfeife.
»Ausgezeichnet. Befördern wir die Mädchen und das Päckchen nach Næstved.«
Ulrik schüttelte den Kopf.
»Die einleitenden Verhöre werden bei uns vorgenommen, der Tatort ist Sache der Kopenhagener Polizei. Sie kommen alle aufs Präsidium in Kopenhagen.«
Hinter ihnen waren einige von Gregers’ Leuten bereits dabei, die sieben Mädchen zu vernehmen. Sanne schüttelte sich. Zwei von ihnen ähnelten Mira. Allan verließ die Gruppe der Mädchen und stellte sich neben Sanne.
»Mann«, sagte er. »Es tut ihnen nicht mal leid. Man sollte glauben, sie seien schon alle in Vesterbro. Meine Frau sollte mal die Vorschläge hören, die sie mir gemacht haben. Zwei von ihnen stammen sogar aus dem Nahen Osten. Das ist doch nicht normal für muslimische Frauen?«
Sanne warf der Gruppe einen Blick zu. Einige von Gregers’ Leuten erlebten dasselbe.
»Was hast du erwartet?«, erwiderte sie. »Eine Handvoll verängstigter, durchgeprügelter Mädchen, halbtot vor Hunger und Durst?«
Gregers saugte an seiner Pfeife.
»Deine Kollegin hat Recht. Dänemark ist nicht ihre erste Station. Sie wurden längst gefügig gemacht. Verprügelt und vergewaltigt. Sie kennen ihre Möglichkeiten, und viele sind’s nicht.«
50
Er parkt den offenen, auberginefarbenen MG Austin-Healey Sprite, Jahrgang 1959, am Straßenrand und stellt den Motor ab. Seine Hände zittern, es ist unmöglich, den Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen. Auf der Party hatte Maria ihn nicht beachtet,
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