Blutwind
Schüsseln ab.
Einen Moment sagten beide kein Wort. Lars drehte sein Glas in den Fingern.
»Ist es geschickt, den Chef anzupissen, wenn man gerade angefangen hat? Ich meine, mich und Maria einzuladen?«
Sanne schüttelte den Kopf.
»Ich bin hier, um zu lernen, oder? Und Frelsén hat gesagt, du bist der Beste. Darüber war Ulrik auch sauer.«
Lars lachte. Also hatte Frelsén sich beschwert, dass man ihn von dem Fall abgezogen hatte. Das schien eine interessante Obduktion gewesen zu sein.
»Habt ihr mehr über sie herausgefunden? War es Mira?«
»Hm.« Sanne nickte. »Bei ihren Sachen war ein Brief von ihrer Mutter.« Sanne schaute in die Spüle. Lars folgte ihrem Blick. Reste von Scholle, Kartoffeln und Petersilie schwammen in dem trüben Wasser und wirbelten mit einem monotonen Gurgeln in Richtung Abfluss. »Noch so ein kurzes trauriges Leben, das vermutlich irgendwo anders genauso geendet hätte. Aber …«
»So darfst du nie denken«, widersprach er. »So denken Bürokraten, so denkt Ulrik.« Er hielt inne. »Entschuldige. Ich sollte dich nicht mit meinen Problemen belästigen.«
Sanne schnitt eine Grimasse.
»Ich glaube, ich fange an, deine Meinung über ihn zu teilen.«
»Na dann prost.« Lars hob sein Glas.
Sie stießen an. Sanne stellte ihr Glas ab.
»Was ist mit dir? Deine Frau ist mit dem Chef durchgebrannt, und du bist der Vater einer Tochter im Teenageralter. Was gibt es noch? Eltern?«
»Reicht das nicht?« Lars sah aus dem Fenster. »Tja, meine Mutter sitzt in einem Kleingarten am Südhafen. Sie ist wohl das, was man eine Lebenskünstlerin nennt.«
»Und dein Vater?«
Lars’ Blick folgte der schnurgeraden Hecke und den Beeten, die den Hof einfassten. Spielgerüste, Sandkasten. Bänke für smarte Østerbro-Eltern.
»Ist lange her, dass ich ihn gesehen habe. Er ist Amerikaner. Ist Ende der Sechziger vor dem Militärdienst und Vietnam geflohen. Schließlich landete er auf einem alternativen Festival und begegnete meiner Mutter. Sie hat erzählt, dass sie sofort schwanger war.«
»Aber er lebt nicht mehr hier?«
»1977 amnestierte Jimmy Carter zehntausend Deserteure, darunter auch meinen Vater. Ich war neun Jahre alt. Jetzt ist er Professor für Kriminologie an der Columbia University in New York. Und du? Du bist aus Kolding?«
»Ein andermal.« Sanne legte die Spülbürste an ihren Platz und ging ins Wohnzimmer. Lars folgte ihr. Nebenan glucksten Martin und Maria vor Lachen über den The Cheese Shop Sketch .
Lars setzte sich an den Tisch, drehte sein Glas am Stiel. Sanne blieb auf der anderen Seite des Tischs stehen und zog eine Plastikhülle aus ihrer Tasche.
»Laut Obduktionsbericht wurde Mira mit einer 9-mm-Husqvarna P .40 erschossen.«
Lars stieß einen Pfiff aus.
»Eine Antiquität?«
»Ursprünglich hergestellt für das schwedische und finnische Heer. Während des Krieges, als die Schweden ihre Standardwaffe, die Walther P .38, aus Deutschland nicht mehr bekamen, beschlossen sie die Produktion für den Eigenbedarf.« Sie sah ihn an. »Ulrik ist überzeugt, dass Ukë und Meriton sie ermordet haben. Aber würden sie eine so alte Waffe verwenden?«
»Wahrscheinlich nicht, aber wer dann?«
»Entweder ein Sammler oder jemand, der über seine Familie Zugang zu einer derartigen Waffe hat? Sie könnte auch gestohlen sein.«
Lars griff nach dem Bericht.
»Was sagt Frelsén? Was ist mit den Augen?«
»Dasselbe wie am Fundort. Keine Kratzspuren an der Innenseite der Augenhöhlen oder am Schädel. Feine, beinahe chirurgische Schnitte. Außerdem wurde das Opfer über die Schlagader im Oberschenkel mit Glutaraldehyd konserviert. Glutaraldehyd verursacht diesen gelblichen Ton des Gewebes, den wir an der Leiche gesehen haben. Formaldehyd, das man heute verwendet, verfärbt die Haut nicht.«
»Ihr sucht also jemanden, der eine antiquierte Waffe benutzt und alte Methoden anwendet, um Leichen zu konservieren.«
Sanne nickte. Lars antwortete nicht, er schloss die Augen und rieb sich mit Zeigefinger und Daumen die Nasenwurzel, bis es schmerzte.
Sanne griff nach ihrem Glas. Sie umklammerte den Stiel, bis ihre Knöchel weiß hervortraten.
»Ein kranker Teufel.«
Auf dem Heimweg im Taxi war Maria bester Laune.
» I ’m keen to guess.« Ihre nicht sonderlich gute Imitation von John Cleese endete in einem glucksenden Lachen. Der Taxifahrer bedachte sie mit einem missbilligenden Blick in den Rückspiegel. Lars rückte ein Stück von ihr ab. Nicht jeder sah, dass es sich bei ihnen um Vater
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