Blutwind
entfernen, ist sie entkommen, bevor es so weit kam. Im Übrigen muss ich sagen, dass es sich um eine sehr sorgfältige Arbeit handelt. Saubere, glatte Schnitte ins Muskelgewebe.«
32
Lagebesprechung in Lars’ Büro. Die Katastrophe des vergangenen Abends war an den grauen, erschöpften Gesichtern abzulesen. Toke trat ein, er kam aus dem Krankenhaus, er hatte Lene besucht. Ein resignierter Blick in den Kreis, dann ließ er sich auf den einzigen freien Stuhl fallen.
Lars wartete, bis Ruhe eingekehrt war. Er hatte in der Nacht und am Morgen mit der rastlosen Energie gearbeitet, die die Freisetzung von Amphetamin, von Noradrenalin und Dopamin im Nervengewebe und Serotonin aus den synaptischen Vesikeln auslöst. Allerdings hatte sich nichts Neues ergeben; nichts, was sie verwenden konnten. Der Täter hatte wieder zugeschlagen, und er war ihnen entwischt. Irgendwann an diesem Morgen, bei einer Tasse Kaffee in der Kantine, war es ihm klar geworden. Nicht genug damit, dass der Vergewaltiger mit einer Falle gerechnet und Lene als Lockvogel erkannt hatte. Er hatte obendrein auf dem Assistens Kirkegård gepfiffen, um sicherzugehen, dass Lars die Spur nicht verlor. Glücklicherweise hatte Lene keine ernsthaften Verletzungen davongetragen. Das war der einzige Lichtblick.
Er würde dafür geradestehen müssen, das wusste er. Die Verantwortung lag bei ihm. Sein Team wartete darauf, dass er etwas sagte, dass er den Ball aufnahm, aber seine Batterien waren leer. Sogar das Amphetamin sog ihn nur noch aus. Sein Bein wippte in einem wahnsinnigen Tempo auf und ab.
»Okay«, sagte er schließlich und zwang sein Bein zur Ruhe. »Unser Mann ist auf den Titelseiten, und eine schiefgelaufene Polizeiaktion ist immer ein guter Stoff. Vermutlich werden noch einige Artikel erscheinen. Passt auf, mit wem ihr redet und was ihr sagt. Wenn die Presse mit euch Kontakt aufnimmt, verweist sie an mich.«
Niemand sagte etwas. Kim A . kratzte sich hinterm Ohr, lächelte vor sich hin. Tokes Blick klebte am Boden zwischen seinen Füßen.
»Warum hat so eine Diskothek eigentlich keine Kameras, die aufnehmen, wer geht?«, fragte Lisa.
»Ärger gibt’s immer am Eingang.« Frank zuckte die Achseln.
Irgendetwas blitzte in Lars’ Unterbewusstsein auf, ein elektrischer Impuls sandte einen Stoß durch seinen müden, zerschlagenen Körper. Er versuchte, die Besprechung auszublenden, das Geräusch der über den Boden scharrenden Stühle. Kameras. Videoüberwachung. Licht. Er richtete sich auf.
»Es gibt keine Kameras, mit denen Gäste gefilmt werden, die das Penthouse verlassen, nein. Aber der 7-Eleven-Kiosk an der Ecke Nørregade und Nørreport … Der hat doch sicher eine Kamera, oder?«
»Und wie soll uns das helfen?« Frank sah konsequent aus dem Fenster.
»Teufel auch, na klar!« Es war Lisa. »Sowohl Stine als auch Lene sind über die Nørregade am Nørreport vorbeigegangen. Wenn der Täter ihnen vom Penthouse gefolgt ist …«
Lars ging in die Kantine. Um diese Tageszeit war es dort leer. Eine Beamtin, die er nicht kannte, saß mit einer Zeitung und einer Tasse Kaffee direkt an der Tür. Sie nickten sich zu. Die Gummisohlen seiner Converse saugten sich am Linoleumbelag des Bodens fest. Jedes Mal, wenn er einen Fuß hob, ertönte ein leises Schmatzen, eine Serie von Küssen, die ihm durch die Kantine folgte. Es war erst zehn, und mit Amphetamin im Blut empfand er keinen Hunger, aber er spürte, dass er etwas essen musste. Schon am Vortag hatte er nicht viel zu sich genommen. An der Theke entschied er sich für ein graues Hacksteak mit Kartoffeln und geschmolzenen Zwiebeln. Er bezahlte, goss sich ein Glas Wasser aus der Kanne an der Kasse ein und setzte sich an einen der hinteren Tische. Ein vergessenes Exemplar des Extra Bladet lag halb aufgeschlagen auf dem Nachbartisch.
Er riss die kleinen blauen und roten Briefchen mit Salz und Pfeffer auf, bestreute großzügig seinen Teller und betrachtete gedankenverloren das Gemüse des Tages. Die beiden Senfgurken glänzten im Licht der Neonröhre an der Decke.
Er fing an zu essen, zog die Zeitung zu sich heran. Auf der Titelseite das große Foto eines Mädchens mit einem sehr tiefen Ausschnitt. Sie hatte einen schwarzen Balken über den Augen, doch Kleidung und Umgebung verrieten ihre Profession. Die Überschrift verkündete in fetten schwarzen Buchstaben: Huren in Vesterbro: Der Sandmann kann ruhig kommen und uns holen . Er schlug die auf der Titelseite angegebenen Seiten auf. Ein Riesenartikel mit
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