Blutwind
hinterhergelaufen, aber er ist mir entkommen.« Wenn er es schon sagen musste, dann jetzt. Er atmete tief durch, fand aber keinen Anfang. Maria legte ihre Hand auf seine. Sie sahen sich an. Dann wandte er den Blick ab und versuchte, das Thema zu wechseln.
»Du hattest doch neulich eine Verabredung. Wie lief’s denn?«
Sie lächelte. Es stand ihr.
»Es war gut.«
»Und wie heißt er? Wo seid ihr gewesen?«
Sie hatte diesen geheimnisvollen Ausdruck, den er nicht wirklich zu deuten wusste. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Du musst nicht alles wissen, Papa.«
Plötzlich stand er wieder gestern Nacht im Flur, vor ihrer Tür. Und hörte das knarrende Bett.
»Da hast du wohl Recht.« Er trank einen Schluck Wasser, hoffte, dass es die roten Flecken auf seinen Wangen verbarg.
Maria schien nichts bemerkt zu haben.
»Ach, ich finde, wir sollten nicht über so etwas reden, wenn Caroline im Krankenhaus liegt.«
»Ich bin sicher, Caroline möchte, dass du glücklich bist.« Er hörte selbst, wie blöd das klang.
»Schon, aber trotzdem …« Sie unterbrach sich. »Bist du heute Nacht gar nicht nach Hause gekommen?«
Beinahe hätte er sich am Wasser verschluckt. Sie hatten ihn nicht gehört. Obwohl er im Badezimmer gewesen war.
»Ich habe durchgearbeitet. Ich bin erst am Nachmittag nach Hause gekommen und sofort ins Bett gegangen. Bis du mich geweckt hast.«
Sie starrte auf ihren Teller und zog an ihrem Pullover, als würde sie frieren.
Mitten in der Nacht wachte er auf, als Maria zu ihm kam. Das hatte sie nicht mehr getan, seit sie klein gewesen war. Sie hatte ihre Bettdecke mitgebracht und kuschelte sich im Halbschlaf an ihn. Er legte einen Arm um sie und zog sie an sich. Dann schlief er ein.
34
Ein sanfter Strom Autos glitt durch den Abend – von der Vesterbrogade über den Gasværksvej bis zur Istedgade und zum Halmtorvet. Unter dem staubigen orangelila Licht der Straßenlaternen waren einsame Männer auf der Suche nach einer schnellen Nummer. Die Abendluft schmeckte nach Benzinpartikeln und Gummi. Der Kohlenwasserstoff setzte sich in einer fettigen Schicht am Gaumen ab.
Sanne hob das DIN -A4-große Foto von Abeiuwa hoch.
»Hast du sie schon mal gesehen?« Das junge Mädchen in Jeansjacke, schwarzem Rock und kurzen Stiefeln blies eine Kaugummiblase, schmatzte weiter.
»Vielleicht.«
»Sie wurde heute Nacht überfallen.« Allan schaute resigniert in Richtung Halmtorvet, er schwitzte. »Ein Kunde hat versucht, ihr ein Auge herauszuoperieren. Tatsächlich versuchen wir gerade, dir und den anderen Mädchen zu helfen.«
Das Mädchen riss sich zusammen.
»Lass mal sehen. Das könnte eventuell … Nein, ich weiß es nicht.« Sie gab ihr das Foto zurück. Die Kaugummimühle setzte wieder ein.
»Ich muss arbeiten.« Sie trat einen Schritt beiseite, schaute über den unablässigen Fluss der Autos. Ein blauer Fiat Punto blinkte und fuhr an den Bordstein.
Sanne stellte sich neben sie, Allan auf die andere Seite. Der Punto schaltete den Blinker ab, reihte sich wieder in den Strom ein. Das Mädchen drehte sich zu Sanne um.
»Ich werde verprügelt, wenn ich nicht genug verdiene. Das wisst ihr doch genau, oder?«
»Dann schau dir das Foto ordentlich an. Du wolltest doch eben noch etwas sagen?«
»Eines der schwarzen Mädchen hat mir vor ein paar Wochen die Ecke oben am Platz weggeschnappt.« Irgendetwas blitzte in ihrem Blick auf. »Ich habe noch immer blaue Flecken.« Sie rollte den Ärmel ihrer Jeansjacke auf. Sanne hielt sie auf.
»Ist nicht nötig. Ist sie das?«
»Ich habe keine Ahnung, wie sie heißt oder für wen sie anschafft …«
Upside Down . Sannes Handy tanzte in der Tasche.
»Du, ich glaube, wir haben etwas.« Søren klang aufgeregt. »Wir stehen hier mit einem Mädchen am Bymuseet. Und sie sagt, sie kennt sie.«
»Und?« Allan rang nach Atem. Søren stand auf dem Bürgersteig vor der Absalonsgade, Kasper saß mit einem großen, schlanken Mädchen auf einer Bank, ihr Haar war lang und glatt. Kurze Satinshorts über langen dünnen Beinen, die in hochhackigen Pumps endeten. Hinter ihnen ein Zaun um einen kleinen Garten, in dem eine Miniaturausgabe von Kopenhagen aufgebaut war. So hatte die Stadt vor mehreren hundert Jahren ausgesehen. Sanne erkannte ein paar Kirchen, den Hafen. Es handelte sich offenbar ums Bymuseet, das Stadtmuseum.
»Justine sagt, dass sie das Mädchen auf dem Foto kennt.« Søren hatte den Namen Abeiuwa noch immer nicht gelernt. »Tell our colleagues what you told
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