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Blutzeichen

Titel: Blutzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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die Autotür und stieg aus, der Wald war kalt und still.
    Während ich auf die Veranda zuging, verfolgte mich der Gedanke: Aber warum mordet jemand ausgerechnet in Davidson, nur durch den See von meinem alten Zuhause getrennt? Und warum entführt jemand Beth Lancing? Als mir ihr Name durch den Sinn ging, verschwanden die selbstbezogenen Gedanken und ich registrierte zum ersten Mal, dass sie gekidnappt worden war und sich, wenn sie inzwischen nicht längst tot war, in den Händen eines Wahnsinnigen befand.
    Noch auf der Treppe zur Veranda entfuhr mir ein Schluchzer. Ich setzte mich auf die Stufen und weinte, wie ich seit Jahren nicht geweint hatte, gab mir die Schuld an allem, was dieser unseligen Familie widerfahren war. Die Lancings wären besser dran gewesen, wenn sie mich nie kennen gelernt hätten. Ich hatte ihnen alles genommen. Alles. Und nun, sieben Jahre nach Walters Tod, war es wieder die Verbindung zu mir, die ihnen Leid verursachte. Ich hatte gar keine Wahl, ich musste versuchen, Beth zu helfen.
    Ich erhob mich, ging in die Hütte und merkte, dass die Schutzmechanismen meines Gehirns mich außer Gefecht setzen wollten. Der immense Schmerz, den ich in diesen dunklen Jahren verspürt hatte, hatte fast einen Stoiker aus mir gemacht. Die Tränen überraschten mich. Neulich noch hatte ich mich gefragt, ob ich wohl je wieder in der Lage wäre zu weinen.
    Nachdem ich die Tür geschlossen und den Zeitungsartikel auf den Küchentisch gelegt hatte, stand mein Entschluss fest, ich war längst überzeugt, dass es nur Luther sein konnte.
    So ging ich hinüber zum Bett, zog einen Koffer darunter hervor und begann zitternd zu packen.
     
    Ich durchwühlte gerade die unterste Kommodenschublade auf der Suche nach dem Umschlag mit den Hundertdollarnoten, als ich hörte, wie sich auf meiner Zufahrt ein Auto näherte. Ich schloss die Schublade und stand völlig überrascht auf. In den fünf Jahren, die ich nun in dieser Hütte lebte, hatte ich selten Besuch empfangen und erwartete auch jetzt niemanden.
    Obwohl es erst drei Uhr nachmittags war, war die Sonne bereits hinter den Berggipfeln untergegangen und hatte den Wald in unheimliches Zwielicht getaucht. Ich hörte, wie eine Tür zuschlug, und beobachtete durch das Fenster, wie eine Gestalt auf die Veranda zukam.
    Es klopfte.
    Ich holte meine kompakte .40er Glock aus der obersten Kommodenschublade, ließ sie in die Tasche meines Fliespullovers gleiten und ging meinem Gast entgegen.
    Als ich die Tür öffnete, fiel der Feuerschein aus der Hütte auf das hagere Gesicht eines jungen Mannes, den ich in den vergangenen Wochen bereits ein paar Mal im Dorf gesehen hatte. Ein schmächtiger, in eine riesige Daunenjacke gehüllter Bursche mit einem aknenarbigen Gesicht. Nach kurzem Blickkontakt schaute er weg.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte ich. Er suchte erneut meinen Blick und rieb sich hinter seinem Rücken nervös die Hände.
    »Mr Carmichael?«, fragte er.
    »Ja?« Ich spürte eine ängstliche Unschuld hinter den Augen dieses Anfang Zwanzigjährigen.
    »Darf ich einen Moment reinkommen?«
    »Warum?«
    »Da ist etwas, worüber ich mit Ihnen reden möchte.«
    Es wurde allmählich kalt bei offener Tür, also trat ich einen Schritt zurück und bat ihn herein.
    Der junge Mann stand neben dem Frühstückstisch und schaute mich lange an. Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab und seine Hände zitterten.
    Ich fragte: »Nun, was ist, muss ich raten?«
    »Was? Oh, nein.«
    Während er sich gegen den Küchentisch lehnte, fielen unsere Blicke gleichzeitig auf den Artikel und die in großen, schwarzen Lettern gesetzte Überschrift:
     
    Mord an Familie – Killer Andrew Thomas wieder aufgetaucht?
     
    Er schaute hastig zu mir auf und sagte: »Julie Ashburn hat mich rausgeschickt, um zu fragen, ob Sie morgen Abend arbeiten könnten. Der Curling Club gibt ein Abendessen.«
    Ich griff nach hinten und zog meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen.
    »Wie heißen Sie?«, fragte ich.
    »Horace. Ich hab gerade erst angefangen, bei ihr auszuhelfen, ‘ne Art Mädchen für alles. War froh, den Job zu kriegen.«
    »Nun, Sie werden ihr ausrichten müssen, dass ich dieses Mal nicht kann, Horace.«
    »Oh, okay. Ist in Ordnung, ich meine…« Er starrte erneut auf den Artikel und dann wieder zu mir. Dabei stockte ihm der Atem. »Ich richte es ihr aus. Soll ich ihr sagen, dass Sie verreisen? Ist… ist das der Grund?« Ich starrte ihn bloß an, ließ meine Hände in die Taschen gleiten, tastete nach dem

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