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Blutzeichen

Titel: Blutzeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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des Yukon zu sein, hier in diesem trostlosen, abgeschmackten Hotelzimmer aufzuwachen, mit seiner Sandtalertapete, dem kitschigen Bild von einem Schiff auf hoher See über dem Bett und einer Glaslampe mit einem mit Muscheln gefüllten Fuß auf der Kommode.
    Jemand klopfte an die Tür und rief mit spanischem Akzent: »Zimmerservice!«
    Ich torkelte aus dem Bett und rief durch die Tür zurück: »Heute nicht, danke!«
    Von meinem Fenster im zweiten Stock überblickte ich den Hafen und das Dorf. Der Regen, der die ganze Nacht geflüstert hatte, war vorüber, und auf dem Asphalt des Silver Lake Drive zeichneten sich schon wieder die ersten trockenen Flecken ab.
    Gestern hatte ich mit Bedauern feststellen müssen, dass das kostenlose Frühstück nicht die Energie wert war, die man benötigte, um nach unten in den Frühstücksraum zu gehen und es zu bestellen. Und da ich anschließend in einem Restaurant namens The Pelican reichlich Garnelen und Bier genossen hatte, beschloss ich, das Frühstück einfach ausfallen zu lassen.
     
    An der Rezeption des Harper Castle B & B lieh ich ein Fahrrad und verließ den Gasthof unter einer dichten, regenschwangeren Wolkendecke. An diesem rauen, stürmischen Morgen fuhr ich mit dem widerborstigen Fahrrad den Hafen entlang. Auf der anderen Seite des Wassers rammte eine Fähre beim Anlegen die Pylonen. Ich konnte die Möwen eine halbe Meile entfernt schreien hören, die Schmarotzer der Fähren.
    Als ich zurückschaute, sah ich den Leuchtturm durch die Eichen hindurchschimmern. Mit einer Höhe von nur zwanzig Metern überragte der geweißte Backsteinbau nur knapp die Gemeinde. 1823 erbaut, war er der Zweitälteste Leuchtturm des ganzen Landes.
    Der alte Gelegenheitsarbeiter verkaufte wieder Muscheln an der Ecke Silver Lake und Highway 12. Ich lächelte und nickte ihm zu, als ich vorbeifuhr, doch er erwiderte meine Freundlichkeit mit einem finsteren Blick.
    Nach mehreren Häuserblocks mit Restaurants, Cottages und kleinen Pensionen bog ich in die Old Beach Road ab, dann in die Middle Road und stellte fest, dass ich wieder im Wohnviertel von Ocracoke gelandet war.
    Mehr als diese mit Stechpalmen und immergrünen Eichen gesäumten Straßen schien von der Seele der Insel nicht mehr übrig geblieben zu sein.
    Schließlich kam ich zu meinem Ziel – der Kill Devil Road, einer schäbigen, mit Austernschalen übersäten Straße, über eine Meile entfernt von der nächsten Behausung.
    Gestern hatte ich mein Auto einige Hundert Meter entfernt auf der Straße stehen lassen und war über den immergrünen Eichenwald auf das Grundstück der Kites vorgedrungen, um mich bis ans Ende der Bäume vorzuwagen, wo ich in der nassen Kälte auf Sand und glitschigen Blättern gelegen hatte, um das Steinhaus zu beobachten, bis die Dunkelheit hereinbrach.
    Niemand kam.
    Niemand ging.
    Als es Abend war, kroch ich hinter eine der gekrümmten Eichen im Garten und spähte durch die Fenster ins Wohnzimmer. Der gelbe Feuerschein beleuchtete die Mahagoniwände und die zerbrechlichen Gestalten eines alten Mannes und einer alten Frau, die wie Statuen auf ihrem alten Sofa saßen und ins Feuer starrten.
    Nachdem ich sie dort eine Stunde lang beim Untätigherumsitzen beobachtet hatte, kroch ich im Schutz des Unkrautes, das den vorderen Garten überwuchert hatte, durch den Wald davon. Während ich zurück zum Audi ging, wurde ich mir über meine Vorgehensweise immer klarer, und obwohl mir der Gedanke verhasst war, da der Plan ein gewaltiges Risiko darstellte, war es meine einzige Chance.
    Nun, einen Tag später, radelte ich den Weg hinter Rufus und Maxine Kites Briefkasten entlang, der zu ihrem Haus an der Küste führte. Mir war übel und mein Mund war trocken, da ich etwas Ähnliches seit Jahren nicht versucht hatte. Mein Leben im nordwestlichen Teil Kanadas hatte auf der Vermeidung jedweder Risiken basiert und ich fürchtete, für etwas Derartiges keine Nerven mehr zu haben.
    Eine Flechte streifte wie ein nasser Schleier mein Haar, als ich den Eichenwald verließ. Trotz meines klopfenden Herzens fuhr ich durch das wogende Dünengras weiter und hatte nun von hinter dem Steinhaus einen guten Blick auf den Pamlico Sound.
    Von der Küste wehte ein kräftiger Nordwind herein.
    Weiße Schaumkronen ritten auf den Wellen.
    Der alte Dodge Pick-up, der gestern unter einer der Eichen gestanden hatte, war verschwunden.
    Ich ließ das Fahrrad im Gras neben dem handgeschmiedeten Eisengeländer liegen und ging die vier Stufen zur offenen

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