Boardwalk Empire
Atlantic City zu beanspruchen. Hätte er für ein landesweites Amt kandidiert, wäre seine Organisation durchleuchtet worden. Auch deshalb begnügte er sich mit dem Amt als Senator des Bundesstaates. Hap Farley hatte in der Politik alles erreicht, was er wollte, und weil er damit niemandem in Trenton gefährlich werden konnte, stellte man im Senat seine Motive nicht infrage.
Neben seinem guten Verhältnis zu den anderen Senatoren trugen auch seine Arbeitsgewohnheiten zu seinem guten Ruf bei. In 34 Jahren Parlamentstätigkeit verpasste Farley nur drei Sitzungen, und jedes Mal lag er im Krankenhaus. Er hielt nichts von Freizeit oder Urlaub – er erholte sich bei der Arbeit. Sein Motto lautete: »Wenn du etwas bewirken willst, musst du alle deine Kräfte auf die Arbeit richten, die vor dir liegt.« Farley studierte die Mechanismen der staatlichen Bürokratie genau, er kannte die Funktionen jeder einzelnen Behörde und ihre Etats im Detail. Er begriff, wie wichtig der Verwaltungsapparat für einen gewählten Politiker war, und pflegte die Beziehungen zu den Beamten auf dieselbe Weise wie zu seinen Kollegen im Senat. Auf seine Art war er ein geradezu vorbildlicher Staatsdiener.
Er rief den 21 Club ins Leben, einen gesellschaftlichen Verein aller 21 Senatoren, egal, welcher Partei, mit denen er sich analog zu »Nucky’s Nocturne« zu informellen Treffen verabredete. Am Ende einer Legislaturperiode veranstaltete Hap Farley als Gastgeber eine Feier zu Ehren seiner Mitsenatoren und ihrer Familien. Es war ein unterhaltsames Wochenende mit gutem Essen und ausgiebiger Erholung in Atlantic City. Die Senatoren wurden mit ihren Familien standesgemäß in den Hotels auf dem Boardwalk untergebracht und überaus zuvorkommend behandelt, wenn auch nicht mit der Dekadenz eines Nucky Johnson. Der Club 21 diente Farley 25 Jahre lang als gute Werbeveranstaltung für Atlantic City und sich selbst.
Farley kümmerte sich aber nicht nur aufmerksam um seine Kollegen und die Beamten aus Trenton, sondern auch täglich um die Wahlkreisleiter und Bezirksvorsteher der Stadt. Er war jederzeit für jeden ansprechbar und wusste genau, was die Gemeinde gerade auf dem Herzen hatte. Wenn jemand krank wurde, schickte er Blumen und eine Karte, wenn jemand starb, besuchte er die Beerdigung, und falls einem Gemeindemitglied das Geld ausging, er aber zu stolz für Sozialhilfe war, ließ er anonym eine Spende oder ein Präsent zukommen. Von Zeit zu Zeit bot er auch seine kostenfreie Hilfe als Rechtsbeistand an – er war ein »Pro-Bono-Anwalt«, bevor der Begriff überhaupt erfunden wurde.
In den ersten zwanzig Jahren seiner politischen Karriere empfing Farley jeden Montagmorgen Bürger, denen man den Führerschein entziehen wollte. Er vertrat dabei zwischen sechs und acht Personen, ohne Honorar zu verlangen, erst dann nahm er seine Arbeit im Senat auf. Alles, was er von seinen Klienten im Gegenzug erwartete, war ihre Stimme bei der nächsten Wahl. Hap war die oberste Kontaktperson in dem elaborierten republikanischen Wahlkreissystem und sorgte dafür, dass dort jeder seinen Pflichten nachkam. Wenn es ein Problem gab, mussten ihn seine Vertrauten darüber informieren.
In seinen ersten Jahren als Boss von Atlantic City gab es unter seinen Gefolgsleuten Offiziere, die nichts mit den »Leutnants« aus den Wahlkreisen zu tun hatten, denn die Armee der Vereinigten Staaten hatte in der Stadt Einzug gehalten. Während des Zweiten Weltkriegs probten Zehntausende amerikanische G . I.’s den Ernstfall. Für die Stadt bedeutete das einen massiven touristischen Aufschwung.
Die großen Hotels und die Convention Hall waren ideale provisorische Unterkünfte, sie standen während des Kriegs ohnehin überwiegend leer. So wurde Atlantic City zum offiziellen Basislager des Army Air Corps, des Vorläufers der Air Force, zu Ausbildungszwecken. Tausende junger Rekruten trainierten, hielten Einsatzbesprechungen ab oder veranstalten Manöver am Strand. Obwohl sich die meisten Soldaten in ihrer Freizeit in der Stadt amüsierten, war ihnen die Teilnahme an Glücksspielen strikt untersagt. Seit fünfzig Jahren lag zum ersten Mal wieder für längere Zeit eine »Kruste« auf der Stadt. So nannten es die Einheimischen, wenn die Anwesenheit einer Personengruppe oder ein gesellschaftliches Ereignis die Schließung der Kasinos notwendig machte. Das dauerte nie länger als unbedingt notwendig, und selbst während der Ermittlungen gegen Nucky wirkte sich die »Kruste« nur ein paar
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