Bobbie Faye 01 - Schlimmer Geht Immer
auch gleich Spuren hinterließ. Sie schloss die Augen und strich abwesend mit einem ihrer Daumen über die erste Hälfte seiner Inschrift, dem Teil, der noch sichtbar war: TON TRÉSOR EST TROUVÉ. Der Rest der Gravur war so abgeschliffen, dass man nur noch einzelne Erhebungen erkennen konnte. Ihre Mutter hatte seinerzeit eine kleine Zeremonie daraus gemacht, »die Flamme weiterzureichen«, als Bobbie Faye das erste Mal mit der Tiara von ihr gekrönt worden war. Sie hatte Blumen und Perlen im Haar gehabt und ein albernes Kostüm getragen, ihr die Inschrift vorgelesen und sie »mein kleiner Schatz« genannt. Und Bobbie Faye wiederum hatte sich ausgemalt, wie ihr Urururgroßvater ebenso mit seiner Tochter verfahren war, als er sie gekrönt hatte.
Das Diadem war das einzige Erbe, das man in der Familie weiterreichte, mit Ausnahme des Loser-Gens, und es bedeutete ihr mehr als alles Geld der Welt. Sie erinnerte sich noch an ihre allererste Parade als Piratenkönigin, bei der sie für ihre Mutter eingesprungen war und sich völlig fehl am Platz gefühlt hatte. In jenem Moment war sie dazu gezwungen worden zu akzeptieren, dass der Krebs gewinnen und ihre Mutter irgendwann nicht mehr da sein würde. Sie wusste noch, wie sehr sich ihre Mutter gefreut hatte, als das Diadem zum ersten Mal von ihr als Tochter getragen worden war, und blinzelte, um die plötzlich aufsteigenden Tränen zu unterdrücken.
Es tut mir leid, Mama. Bobbie Faye richtete ihren Blick zur Decke. Roy steckt in ernsten Schwierigkeiten, und ich muss ihn retten. »Und dann werde ich ihn grün und blau prügeln«, sagte sie laut, fing sich jedoch schnell wieder, blickte erneut zur Decke und korrigierte sich: »… Ich meine natürlich … werde ihm helfen, sich zu rehabilitieren.«
Als Bobbie Faye zurück in den Schalterraum der Bank kam, stand Melba regungslos hinter ihrem Schreibtisch und streckte ihr das Geld des eingelösten Schecks entgegen. In der anderen Hand hielt sie einen Telefonhörer, den sie offenbar gerade ans Ohr heben wollte.
»Tschüss, Melba.« Bobbie Faye griff nach den Scheinen und stopfte sie zu dem Diadem in eine Plastiktüte, während sie Richtung Ausgang eilte. Sie war so sehr damit beschäftigt, die Tüte zuzubinden, dass sie die nervöse Bohnenstange anrempelte. Der Mann hatte nun die Spitze der Schlange erreicht und schien kurz vor einem Nervenzusammenbruch zu stehen.
Bobbie Faye warf einen Blick zu Avantee hinüber, die nun ein ganzes Bündel Geldscheine in der Hand hielt, welches augenscheinlich für diesen unruhigen Kerl bestimmt war. Sie stand wie erstarrt da, den Arm halb ausgestreckt, als hätten sämtliche Synapsen, die für eine gut funktionierende Motorik zuständig waren, einen Kurzschluss erlitten. Bobbie Faye verdrehte die Augen und riss Avantee das Geld aus der Hand. »Um Himmels willen, wie schwer kann es denn sein, ihm die Kohle zu geben?« Dann drehte sie sich zu der nervösen Bohnenstange um …
… die eine Waffe in der Hand hielt und damit auf Avantee zielte.
»Danke«, sagte der Mann, riss Bobbie Faye die Plastiktüte aus der Hand und bedrohte nun auch sie mit der Waffe. »Tut mir wirklich sehr leid, aber das brauche ich auch.«
»Soll das ein Megagag sein?«
Er deutete auf seine Brust, um die, unter einer leichten Windjacke versteckt, Dynamitstangen gebunden waren.
»Das ist wohl Ihr erstes Mal«, meinte Bobbie Faye.
Er wurde rot. »Ich wusste nicht, ob ich eine Waffe oder besser Sprengstoff nehmen sollte.«
»Also wenn Sie das nächste Mal die Papprollen von Ihrem Küchenpapier anmalen, dann achten Sie bitte darauf, dass nicht trotzdem noch der Firmenschriftzug von Bounty durchschimmert.«
Als er an sich hinabschaute, um nachzusehen, ob sie recht hatte, griff Bobbie Faye blitzschnell nach der Tüte mit ihrem Diadem. Das Ding, das sie für eine Spielzeugpistole gehalten hatte, ging los und traf die Decke – während Harold, der Wachmann, unbeeindruckt weiterschlief.
Putz fiel herunter, rieselte Bobbie Faye auf den Kopf und puderte ihre Haare weiß. Mit offenem Mund starrte sie den Bankräuber an.
»Das ist ja wohl nicht meine Schuld«, sagte er sofort und deutete auf den Staub.
»Okay. Geben Sie mir jetzt mein Dia… äh … Pausenbrot zurück. Auf der Stelle!«
»Hey, Professor Fred«, rief einer von den zwei nerdig wirkenden Typen vom Eingang herüber. »Ich glaube, ich höre Sirenen. Wir müssen abhauen!«
Fred drehte sich zur Tür um und wollte loslaufen, als Bobbie Faye sich erneut auf ihr
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