Bobbie Faye 01 - Schlimmer Geht Immer
verhökern können. Bobbie Faye bemerkte, dass sie ihr Wippen auf den Fußballen inzwischen dem Schnarchrhythmus von Harold, dem achtzig Jahre alten Wachmann der Bank, angepasst hatte. Ihre Ungeduld würde das Nervenkostüm der fahrigen Bohnenstange hinter ihr bestimmt nicht beruhigen.
Sie sah, wie Melba, die spindeldürre Filialleiterin, zu einem der Schreibtische stürzte, und sagte mit aller Geduld, die sie aufbringen konnte: »Ich hoffe, die Bank hat einen guten Rentenplan im Angebot, Melba. Ich stehe jetzt schon lange genug hier, um einen zu brauchen.«
Melba stieß jenen langen, schweren Seufzer aus, den Menschen von sich geben, die meinen, das Gewicht der ganzen Welt auf ihren Schultern zu tragen. Das kratzte Bobbie Faye jedoch nicht im Geringsten. Bereits in der ersten Klasse hatte Melba immer schon so gestöhnt. Diese seufzte erneut, diesmal noch resignierter. »Was kann ich für dich tun, Bobbie Faye?« Ihr Tonfall machte deutlich, dass sie ihre Quote, Menschen zu helfen, ihrer Meinung nach bereits im Mutterleib mehr als erfüllt hatte.
Bobbie Faye ging schnell zu Melbas Schreibtisch hinüber und streckte ihr den Scheck von Ce Ce entgegen. »Ich muss den hier einlösen«, sagte sie und versuchte, ganz normal zu klingen, als würde das Leben ihres Bruders nicht davon abhängen. Und bevor Melba den Satz: »Da musst du dich in der Schlange anstellen«, auch nur in Gedanken ausformulieren konnte, fuhr sie fort. »Und ich muss … äh …«, sie sah sich schnell um und senkte die Stimme, »… an mein Schließfach.«
Melba zog eine ihrer nachgezogenen Augenbrauen so weit nach oben, dass diese fast ihren Haaransatz berührte. Bobbie Faye beherrschte sich, nicht zusammenzuzucken. »Du hast natürlich deinen Schlüssel dabei?«
Scheiße! Der Schlüssel!
Bobbie Faye wühlte in ihrer durchgeweichten Handtasche herum. Sie wusste, dass er da sein musste. Sie hatte ihn zuletzt dort hineingetan. Sie betete zu Gott, nicht wieder nach Hause fahren zu müssen, um inmitten des umgestürzten Trailers und ihres zum Großteil auf dem Rasen verstreuten Hab und Guts einen Schlüssel zu suchen. In Windeseile kippte sie allen unnützen Kram aus der Tasche auf Melbas Schreibtisch, kramte eine Dose mit Haarnadeln sowie verschiedene andere wichtige Dinge aus dem Haufen hervor und … Tadaaa! … Da war auch der Schlüssel. Melba räusperte sich, und Bobbie Faye blickte auf. Auf dem gesamten Schreibtisch der Bankangestellten lagen Dinge aus Bobbie Fayes Handtasche verstreut. Das meiste war nass und hinterließ bereits feuchte Abdrücke auf der teuren Unterlage aus Leder.
»Oh, tut mir leid, Melba.« Bobbie Faye schob die Sachen zurück in ihre Handtasche und überging Melbas mürrische Miene.
Die Schließfächer waren dort untergebracht, wo sich einmal der Öltank befunden hatte. Selbst jetzt noch, Jahrzehnte nach dem Umbau, roch es nach Schlamm und Öl. Bobbie Faye saß an dem kleinen Schülerpult, das die Bank ihren Kunden zur Verfügung stellte, und starrte auf die Kassette. Ihre Hände zitterten. Melba drehte ihren Schlüssel herum und wartete darauf, dass Bobbie Faye es ihr gleichtun würde.
Schließlich hatten sie die Box geöffnet. »Ich löse eben den Scheck für dich ein, dann kannst du dich in Ruhe mit deiner Kassette beschäftigen«, sagte Melba und wandte sich ab, um hinauszueilen, hielt an der Tür jedoch kurz inne. »Deine Mama würde vor Glück strahlen, wenn sie sehen könnte, wie gut du dich um ihr Diadem kümmerst. Ich habe immer geglaubt, du würdest es irgendwann verlieren.«
Mit gerunzelter Stirn starrte Bobbie Faye der Bankangestellten nach. Dann widmete sie sich der Box, zog mit angehaltenem Atem das Tuch zuoberst beiseite und nahm das Schmuckstück heraus. Es bestand aus Eisen, das geschmolzen und zu vier seltsamen halbmondförmigen Bögen verarbeitet worden war, zwei auf jeder Seite, mit einem großen Stern in der Mitte – es gab keinen einzigen Edelstein, geschweige denn Diamanten oder etwas Ähnliches, nicht ein Stück wertvolles Metall, nur Eisen. Und selbst das war etwas angerostet, zerkratzt und ziemlich schlicht. Bobbie Faye stierte das Diadem völlig verwirrt an und wunderte sich, dass jemand diesem Ding, das ihr Urururgroßvater einmal als Spielzeug für seine Tochter gefertigt hatte, irgendeinen realen Wert beimessen konnte. Abgesehen von seinem Alter, war es nicht wertvoller als ein altes Hufeisen.
Einen Moment lang drückte sie das Diadem gegen ihre Brust, wo es auf ihrem weißen T-Shirt
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