Bobbie Faye 01 - Schlimmer Geht Immer
hat irgendwas davon gesagt, dass sie eine Geisel nehmen wolle, aber ich dachte, es wäre ein ganz normaler Gefangener.«
»Schätzchen, die Tatsache, dass du glaubst, es gäbe so etwas wie normale Gefangene, bedeutet nur, dass du schon viel zu lange in deiner Branche tätig bist.« Ce Ce zog es vor, gar nicht so genau zu wissen, was Nina bei S & M Models, Inc. eigentlich tat. »Aber liebe Güte, sie hat eine Geisel genommen?!«
»Das hat sie zumindest gesagt. Obwohl der Typ nichts dagegen zu haben scheint.«
»Vielleicht kannst du ein paar Leute anrufen. Einige deiner … Klienten … haben ja unter Umständen gerüchteweise gehört, was eigentlich passiert ist. Von den Cops bekomme ich keine genauen Informationen, und ich kann ihr besser helfen, wenn ich weiß, worum es geht.«
»Mal sehen, was sich da machen lässt«, versprach Nina, knallte erneut mit der Peitsche und legte auf.
Ce Ce stand in der kleinen, provisorisch eingerichteten Imbissecke, die normalerweise einladend und friedlich wirkte und wo frühmorgens die Sportler einkehrten, um Biscuits and Gravy, die für die Südstaaten typischen Blätterteigbrötchen mit Soße, oder aber Wildwurst und Boudin Balls, einen zu Kugeln geformten und frittierten Fleisch-Reis-Mischmasch, zu essen. In ihrem Laden warfen einige Frühaufsteher gern noch einen letzten Blick auf die Wettervorhersage und schauten die Nachrichten, bevor sie in den Atchafalaya-Sumpf oder die Wälder im Westen aufbrachen. Im Augenblick allerdings stand jeder Jäger und Fischer, der während der letzten Stunde hereingekommen war, mit offenem Mund vor Ce Ces Fernseher und verfolgte die News über Bobbie Fayes neueste Katastrophe. Manche Kunden tratschten auch nur. Ce Ce ignorierte die kleine Runde, die sich im hinteren Teil des Raums zusammengefunden hatte und leise Wetten über mögliche bevorstehende Schäden oder, schlimmer noch, Bobbie Fayes Überleben abschloss, mit voller Absicht. Auch das unentwegt klingelnde Telefon überhörte sie und konzentrierte sich vollkommen auf die Berichterstattung im Fernsehen.
Dort wurden gerade Luftaufnahmen von dem Elend gezeigt, das früher einmal Bobbie Fayes Zuhause gewesen war. Der Trailer lag zusammengesunken auf der Seite, jede Menge Müll war über den Rasen verstreut, drum herum stand eine ungeheure Menge Schaulustiger, die gaffte, und inmitten des ganzen Chaos’ befand sich Nina und schwang ihre Peitsche. Ce Ce lachte. Gott sei Dank gab es Nina. Wenn es irgendjemand anders gewesen wäre, hätte sie der Person energetische Verstärkung geschickt. Aber sie nahm an, dass Nina nicht nur keine Hilfe brauchte, sondern diese sie wohl eher behindern würde.
Dann wurde Ce Ce auf einmal klar, worum es dort eigentlich ging. Bobbie Faye rannte um ihr Leben.
Und Ce Ce wusste nicht einmal, warum. Dieses Mädchen ähnelte einem Bollwerk, ließ niemals jemanden zu nah an sich heran und sagte auch nicht Bescheid, wenn es Hilfe brauchte. Ce Ce war also dazu verdammt, quasi an der Seitenlinie auszuharren und zu hoffen und zu bangen und das bisschen Magie, derer sie mächtig war, heraufzubeschwören.
Sie schloss die Augen und rieb sich unter ihren schweren geflochtenen Zöpfen den Nacken. In Momenten wie diesem konnte sie sich an manche Dinge in allen Einzelheiten erinnern – so detailliert, dass diese sie wie tausende Lagen von Treibsand schier zu ersticken drohten. Sie sah immer noch Bobbie Faye vor sich – gerade mal sechzehn Jahre alt, dürr, müde, völlig pleite. Halb verhungert hatte sie kurz vor Ladenschluss vor ihr gestanden und gewartet, bis keine Kunden mehr da waren, damit sie Ce Ce unter vier Augen um einen Gefallen bitten konnte.
»Ihre Mutter ist wirklich eine sehr schöne Piratenkönigin gewesen«, sagte Monique und unterbrach Ce Ce damit in ihren Gedanken. »Bevor der Krebs sie uns genommen hat, natürlich.«
Ce Ce öffnete die Augen und erblickte ihre Freundin, deren Haar wild in alle Richtungen abstand und ihr Gesicht mit den vielen Sommersprossen umrahmte. Monique, eine mollige Frau in den Vierzigern und Mutter von vier Kindern, besaß eine derart freundliche und gütige Ausstrahlung, dass selbst völlig Fremde ihre Kinder an der Kasse des Lebensmittelgeschäfts in ihrer Obhut ließen, wenn sie noch einmal zurücklaufen mussten, um »nur noch schnell eine Sache« zu holen.
»Zu schade, dass sie den Charakter ihrer Mutter geerbt hat.«
»Nein, Schätzchen, der stammt nicht von ihrer Mama. Necia war zwar meschugge, aber viel sanfter, viel
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