Bobbie Faye 01 - Schlimmer Geht Immer
während sie weinte. Normalerweise hätte sie sich nie die Blöße gegeben, vor ihm zu heulen. Und er wäre von ihr mit einem Tritt bis über die Landesgrenze befördert worden, wenn er in diesem Augenblick irgendetwas auch nur ansatzweise Schmalziges oder Tröstendes gesagt hätte. Denn Bobbie Faye Sumrall brach nicht zusammen. Das tat sie einfach nicht.
Er schwieg.
Kaum dass sie sich wieder etwas beruhigt hatte, trat sie einen Schritt zurück und wandte sich von ihm ab, um sich die Tränen abzuwischen. Als sie ihn wieder ansah, verzog er leicht das Gesicht, kam dann jedoch auf sie zu und benutzte den Saum seines Hemdes, um den Dreck von ihren Wangen zu wischen. Er schien eine Ewigkeit zu brauchen, und sie registrierte, wie sehr er sich darauf konzentrierte, während sie völlig fasziniert auf die schon fast ganz verblasste Narbe unter seinem Auge starrte. Sein gleichmäßiger Atemrhythmus beruhigte sie.
»Sind Sie bereit?«, erkundigte er sich, als er fertig war. Stillschweigend schienen sie vereinbart zu haben, dass niemals Tränen geflossen waren.
»Ich bin schon bereit geboren worden.«
»Klar, Sie und General Custer.«
Sie wandten sich wieder dem sumpfigen Ufer des Lake Charles zu.
Cam beobachtete, dass Dellago dem Professor einen bohrenden Blick zuwarf und wie diesem daraufhin sofort der Schweiß ausbrach.
»Äh … nun … äh«, quiekte der Professor, dann stockte er, schluckte und rutschte unruhig auf dem Stuhl herum. »Sie … äh …« Flehend sah er zu Dellago, der seinem Blick noch mehr Härte verlieh. »Äh … gut. Also sie sagte, sie habe irgendwie die Nase voll von, äh, ihrem Lebensstandard. Ich sollte das Geld holen, und sie, äh, wollte einfach alles wie eine völlig unbeteiligte Beobachterin mitverfolgen.«
»Sie wollte lediglich dabei zusehen, wie Sie, ausgerüstet mit Ihren falschen Dynamitstangen, die Bank ausrauben?«
»Äh … ja, und ich sollte die Waffe mitbringen.«
Cam fiel auf, wie der Professor sich beherrschen musste, Dellago keinen fragenden Blick zuzuwerfen.
»Dann sollte ich sie entführen, damit alle glaubten, sie sei unschuldig, und später wollten wir uns das Geld teilen.«
»Und warum haben Sie sie dann nicht entführt?«, fragte Cam.
»Sie begann plötzlich, alles selbst in die Hand zu nehmen, verstehen Sie? Ich … ich weiß nicht, wieso. Dann bin ich ausgerutscht, und sie hat mich einfach zurückgelassen.«
»Okay. Und Sie haben das alles für sie getan, weil …?«
»Sie wissen doch selbst«, mischte Dellago sich ein, »wie überzeugend Miss Sumrall sein kann, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat.«
Oh ja , dachte Cam, das wusste er ganz genau. Aber er wusste auch, wie klug sie war.
»Und wie lange kennen Sie Miss Sumrall schon?«
»Oh … äh … tja. Also, ich weiß nicht …«
»So ungefähr. Ein paar Monate? Ein paar Wochen? Ein Jahr?«
Der Professor versuchte, Dellago einen Blick zuzuwerfen, dann wandte er sich schnell ab, schluckte, hustete und rutschte auf dem Stuhl herum. »So … äh … so ungefähr ein Jahr.«
»Tatsächlich? Und wie haben Sie Miss Sumrall kennengelernt?«
»Das ist hier ja wohl nicht relevant, Detective«, meldete sich Dellago zu Wort und drückte sich mit seinem Stuhl vom Tisch weg.
»Natürlich ist es das«, widersprach Cam. »Er möchte, dass die Anklage gegen ihn abgemildert wird. Da muss er schon erklären, wie er sie kennengelernt hat und wie lange im Voraus sie die Tat geplant haben.«
»Ich … ich … ich … ich habe sie auf dem Festival kennengelernt«, stieß der Professor hervor. »Äh … im letzten Jahr.«
»Ach, das war das Jahr, in dem ihre Schwester sie als Piratenkönigin vertreten musste«, sagte Cam und fügte dann an Dellago gewandt hinzu: »Denn Miss Sumrall hatte eine Grippe.«
»Genau! Genau so war es«, erklärte der Professor, bevor Dellago einschreiten konnte.
»Und sie hat sich ausgerechnet an Sie gewandt, weil …?«
»Sie … sie hielt mich für vertrauenswürdig, nehme ich an. Eine schöne Frau wie sie läuft doch ständig Gefahr, ausgenutzt zu werden. Sie verstehen?«
Cam antwortete nicht.
»Und sie wusste, dass ich nicht der Typ dafür bin. Man kann mich nicht gerade als Frauenschwarm bezeichnen. Sie brauchte Hilfe, und sie war äußerst entschlossen.«
»Ich glaube, das reicht jetzt«, unterbrach Dellago. »Sind wir im Geschäft?«
In dem Moment wurde kurz an die Tür des Vernehmungszimmers geklopft, und Detective Benoit steckte seinen Kopf herein. »Cam? Da ist ein
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