Bobbie Faye: Alles wird gut (German Edition)
würde sie auch mit diesen Schmerzen fertig werden. Ihre Angst trug ein Gefecht mit ihrer Wut aus, und bisher waren sie sich relativ ebenbürtig. Ihre Haut fühlte sich straff und zum Zerreißen gespannt an, und zwischen ihren Augen wüteten Schmerzen. Alles tat weh. Sogar ihre Haare taten weh, wie auch immer das möglich war.
Sie befand sich in einem alten Bekleidungsgeschäft und hatte sich dort in eine Ecke zurückgezogen. Es lag Sägemehl auf dem Estrichboden. Jemand hatte offenbar hastig den gröbsten Schmutz von den Bauarbeiten zur Seite gefegt. Die Polizei und das FBI hatten ihr gemeinsames Hauptquartier in dem Gebäude gegenüber von Seans Apartment aufgeschlagen, und auf dieser Seite der Straße waren die Bauarbeiten ungefähr so weit fortgeschritten wie ein verliebter Teenager beim dritten Date. Drei verschiedene Personen hatten sie zu überreden versucht, eines der Sandwichs zu essen, die jemand besorgt hatte, aber diese Bemühungen waren völlig sinnlos, denn sie hätte sie gar nicht bei sich behalten können.
Trevor reichte ihr eine Art isotonisches Getränk. Manchmal beschlich sie wirklich das Gefühl, dass er Sachen aus dem Nichts herbeizaubern konnte.
Er hätte es besser selbst behalten sollen.
»Trink. Keine Widerrede.«
Sie trank und fragte sich dabei, wann er eigentlich zum letzten Mal geschlafen hatte. Oder gegessen. Er besprach sich mit einem der unzähligen Leute, die sich in dem Laden drängten. Die Luft war zum Schneiden dick vor Anspannung und Schweißgeruch. Sie betrachtete seine Schultern, seinen Kiefer und sah ihm an, dass er völlig erschöpft war und es ihm nicht gut ging, dass er aber auch fest entschlossen war, sich das nicht anmerken zu lassen.
Dann suchte sie sich ein Eckchen im hinteren Teil des Ladens, von wo aus sie das ganze Treiben gut im Auge behalten konnte.
Riles hatte vorhin eine Gruppe mitgenommen aussehende, kopflose Schaufensterpuppen in alten Seidenkleidern im Schaufenster aufgestellt.
Sie hoffte, dass dieses »kopflose« Publikum kein böses Omen war.
Die Straße vor dem Gebäude war inzwischen abgesperrt worden. Das bernsteinfarbene Licht der Straßenlaternen brach sich in den riesigen Schaufensterscheiben und nahm dabei einen widerlichen grünlichen Ton an. Bobbie Faye hatte keinen Schimmer, wie sie es geschafft hatten, so schnell eine Kommandozentrale aus dem Boden zu stampfen oder wie es diese Unmengen an Leuten hinbekamen, sich in diesen kleinen Raum zu quetschen und zu tun, was immer Leute mit einem Plan in Krisenzeiten zu tun pflegten. Polizeichefs. Sheriffs. Ein oder zwei Bürgermeister. Vertreter von Homeland Security. Jemand hatte improvisierte Tische aus Sägeböcken gebaut, an der Wand hing eine Karte der Stadt beziehungsweise des Bezirks Baton Rouge, und überall standen Laptops und anderes Hightechequipment herum, das sie nicht einmal identifizieren konnte.
Sie schlang die Arme um ihre Schultern und drückte sie fest gegen ihren Leib, denn ihr Gehirn flüsterte die ganze Zeit: Nina, Nina, Nina. Sie hatte das Gefühl, dass der Rhythmus dieser Worte sie sonst zum Explodieren bringen würde. Sie kam sich vor wie eines dieser schwarzen Löcher, die dem Universum das Leben aussaugten. Um sie herum nichts als Zerstörung, und sie war das Zentrum. Nina. Nina war einem Irren in die Hände gefallen, der sie, ohne mit der Wimper zu zucken, foltern würde, um zu erfahren, was er wissen wollte. Nina. Ihre beste Freundin und doch im Grunde eine Fremde. All die Jahre hatte sie quasi ein Scheinleben geführt.
Sie schloss die Augen und lehnte den Kopf an die frisch gestrichene Wand. Nichts passte mehr zusammen. Wäre sie gestern mit der Idee aufgewacht, einen Bungeesprung von einem wirklich niedrigen Gebäude zu machen, wäre das logischer gewesen als all der Irrsinn, der sich hier abspielte.
Nina. Die einzige unerschütterliche Beziehung, die schon fast ihr ganzes Leben lang hielt. Nina, die überhaupt nicht die Frau war, für die Bobbie Faye sie gehalten hatte. Wahrscheinlich hatte Nina die ganze Zeit über gewusst, wo Trevor sich aufhielt, während sie ausgeflippt war, das Haus angemalt und sich gesorgt hatte, er könne tot sein, und niemand wollte es ihr sagen.
Ein Tiefdruckgebiet, eine Sturmfront war unerbittlich auf Kollisionskurs mit ihren Gefühlen und ihrem Herzen gegangen und hatte eine Schneise der Sinnlosigkeit hinterlassen. Seit wann war es eigentlich so völlig in Ordnung, dass die Menschen, die ihr am Herzen lagen, ihr nicht die Wahrheit
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