Bockmist
großen Augen angehört und ihre allgemeine Einschätzung meiner Wenigkeit soweit modifiziert, daß sie mich jetzt für einen echt starken Typen hielt, eine Abwechslung, die ich ganz nett fand. Ich bestellte noch eine Runde Kaffee und lehnte mich zurück, um mich in ihrer Bewunderung zu sonnen.
Sie runzelte die Stirn.
»Sie wissen also nicht, wo Sarah jetzt ist?«, fragte sie.
»Nicht die Bohne. Sie kann gesund und munter sein und ist nur auf Tauchstation gegangen, oder sie steckt in einer echten Klemme.«
Ronnie lehnte sich zurück und sah aus dem Fenster. Man merkte, daß sie Sarah gern hatte, denn ihre Besorgnis machte ihr richtig zu schaffen. Dann zuckte sie plötzlich die Achseln und trank einen Schluck Kaffee.
»Wenigstens haben Sie ihnen nicht den Ordner gegeben«, sagte sie. »Das ist doch was.«
Das Risiko geht man nun einmal ein, wenn man den Leuten die Hucke vollügt. Irgendwann können Sie nicht mehr unterscheiden, was nun wahr ist und was nicht. Was nicht weiter verwunderlich ist.
»Nein, das haben Sie falsch verstanden«, erklärte ich ihr freundlich. »Es gibt keinen Ordner. Das hab’ ich nur gesagt, weil ich wußte, daß sie das prüfen müssen, bevor sie mich verknacken oder in den Fluß werfen oder was die für Leute wie mich in petto haben. Schauen Sie, Leute, die in Büros arbeiten, glauben an Akten. Akten bedeuten ihnen etwas. Wenn man denen erzählt, man hätte einen Aktenordner, dann glauben die einem, weil sie Ordnern große Bedeutung beimessen.« Ich, der Meisterpsychologe. »Aber ich fürchte, der bewußte hier existiert einfach nicht.«
Ronnie setzte sich kerzengerade hin, und ich merkte, daß sie plötzlich ganz aufgeregt war. Auf ihren Wangen tauchten zwei rote Pünktchen auf. Das war ein recht schöner Anblick.
»Doch«, sagte sie.
Ich schüttelte den Kopf, um zu prüfen, ob meine Ohren noch da saßen, wo ich sie verlassen hatte.
»Wie bitte?«
»Graduiertenkolleg«, sagte sie. »Sarahs Aktenordner. Ich hab’ ihn gesehen.«
10
Das Feuer glimmt in alter Asche fort.
CHAUCER
Ronnie und ich verabredeten uns für halb fünf, wenn die Galerie schloß und die donnernde Stampede der Kunden zuverlässig ausgesperrt worden war, um eine weitere Nacht auf Feldbetten und mit gezückten Scheckheften den Bürgersteig vollzusabbern.
Ich mußte ihre Mithilfe nicht direkt rekrutieren, denn Ronnie war jung und zu allen Schandtaten bereit. Irgendwie spürte sie die Kombination aus guten Werken und großen Wagnissen und konnte der Versuchung nicht widerstehen. Ich erzählte ihr nicht, daß es mir bislang nur Schußwunden und pürierte Eier eingetragen hatte, weil es überdeutlich war, daß Ronnie sich als sehr nützlich erweisen konnte. Erstens hatte ich jetzt kein Fahrzeug mehr, und zweitens habe ich im Lauf der Zeit festgestellt, daß ich viel besser denken kann, wenn ich jemanden dabeihabe, der mir das Denken abnimmt.
Ich schlug ein paar Stunden in der British Library tot und versuchte, möglichst viel über die Mackie Corporation of America in Erfahrung zu bringen. Die meiste Zeit ging dafür drauf, der Funktionsweise des Schlagwortkataloges auf die Schliche zu kommen, aber in den letzten zehn Minuten, bevor ich gehen mußte, gelang es mir, an die folgenden unschätzbaren Informationen heranzukommen: Mackie war ein schottischer Ingenieur gewesen, der in Zusammenarbeit mit Robert Adams einen Doubleaction-Perkussionsrevolver mit geschlossenem Rahmen entworfen hatte, den die beiden 1851 bei der Weltausstellung in London vorgestellt hatten. Das notierte ich mir gar nicht erst.
In der vorletzten Minute fand ich mich per Querverweis in einem einschläfernd langweiligen Buch wieder, Die Zähne des Tigers von einem Major J.S. Hammond (pens.), und entdeckte, daß Mackie eine Firma gegründet hatte, die inzwischen zum fünftgrößten Lieferanten »defensiver Versorgungsgüter« für das Pentagon aufgestiegen war. Das Hauptquartier des Konzerns lag heute im kalifornischen Vensom, und sein letzter angegebener Jahresgewinn vor Steuern hatte mehr Nullen, als auf meinen Handrücken paßten.
Ich war auf dem Rückweg in die Cork Street und bahnte mir einen Weg durch die Nachmittagseinkäufer, als ich die Rufe eines Zeitungsverkäufers hörte. Es ist gut möglich, daß ich zum ersten Mal im Leben tatsächlich verstand, was ein Zeitungsverkäufer sagte. Die anderen Passanten hörten garantiert »Kleinod in Schildpatt geblecht«, aber ich brauchte sein Plakat kaum, um zu verstehen, daß
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