Bodenlose Tiefe
Schachtel.
Vorsichtig hob sie den Deckel an einer Ecke an.
Weiß. So zart wie Mondlicht. Sie schlug den Deckel wieder zu.
Verdammt, verdammt, verdammt. Sie packte die Schachtel und ging zur Kabinentür. Sie würde sie vernichten. Über Bord werfen.
Dann blieb sie stehen und atmete tief durch. Sie durfte nicht voreilig handeln. Alles hatte sich geändert. Im Augenblick konnten sie nichts gegen Archer ausrichten.
Vielleicht musste sie seine eigenen Waffen gegen ihn wenden.
Aber nicht diese. O Gott, nicht diese.
Sie zwang sich, zum Wandschrank zu gehen, stopfte die Schachtel hinein und schlug die Tür zu.
Sie wusste nicht einmal, ob sie es würde ertragen können, in der Kabine zu schlafen, solange die Schachtel sich dort befand.
Es war, als wüsste man, dass sich eine Kobra im Schrank schlängelte.
Aber sie musste ja nicht in dieser Kabine schlafen. Sie hatte Kelby und bei ihm war sie in Sicherheit. Sie war sowohl in seiner Kabine als auch in seinem Bett willkommen. Es spielte keine Rolle, dass es nur vorübergehend war. Wie gut es tat zu wissen, dass er für sie da war.
Am Abend kam Nicholas erst nach neun zurück. »Ich habe fast zwei Stunden gebraucht, um das Schiff ausfindig zu machen. Archer hat den Anker gelichtet und ist etwa zehn Meilen in Richtung Osten gefahren. Ich hatte schon befürchtet, er wäre uns durch die Lappen gegangen.«
»Ist er noch an Bord?«
»Es war schon fast dunkel, als ich das Schiff endlich aufgespürt habe. Ich bin nicht lange geblieben und ich konnte nicht allzu nahe ran, wenn ich nicht riskieren wollte, gesehen zu werden. Aber ich glaube nicht, dass er an Deck war.«
»Er ist auf dem Schiff«, sagte Melis. »Er wartet ab. Wie ein Alptraum.«
»Ich wette, er ist nicht nur darauf aus, die schwarze Wolke über deinem Kopf zu spielen«, sagte Kelby. »Er besorgt sich Verstärkung. Immerhin haben wir vier von seinen Männern getötet. Es könnte eine Weile dauern, Männer und Waffen aufzutreiben.«
»Wahrscheinlich«, meinte Nicholas. »Morgen werde ich eine bessere Gelegenheit haben zu beobachten, was sich auf dem Schiff tut. Vier Meilen von Archers Ankerplatz entfernt gibt es ein paar kleine unbewohnte Inseln. Auf einer davon könnte ich Posten beziehen.«
»Was für Waffen wird er sich deiner Meinung nach beschaffen?«, wollte Melis wissen.
»Er hat Zugang zu einem ziemlich üblen Waffenarsenal«, erwiderte Kelby grimmig. »Vielleicht Raketenwerfer. Vielleicht hat er auch vor, die Trina zu versenken.«
»Meinst du?«
»Ich schätze, der ist so wütend, dass er zu allem fähig wäre. Es ist also nicht auszuschließen.«
»Dann sollten wir vielleicht lieber nicht warten, bis er Verstärkung kriegt«, sagte Nicholas.
»Wenn er so wütend ist, wie ich glaube, könnten wir das vielleicht ausnutzen«, bemerkte Melis.
Kelby sah sie argwöhnisch an. »Und wie?«
»Ich bin mir noch nicht sicher.«
»Du meinst nicht, wir sollten seine Wut ausnutzen, du meinst, wir sollten dich als Köder benutzen«, sagte Kelby. Dann fügte er knapp hinzu: »Nein.«
»Woher willst du wissen, ob er diese Waffen nicht längst an Bord hat? Vielleicht wartet er nur, bis neue Leute eingetroffen sind«, sagte Melis. »Willst du riskieren, dass er tatsächlich die Trina in die Luft jagt?«
»Nein, und ich will auch nicht riskieren, dass er dich in die Luft jagt.«
»Wir müssen wissen, was in ihm vorgeht. Geben wir ihm noch einen Tag.«
»Und du glaubst, dann werden wir es wissen?«
»Ja. Er wird mich anrufen. Er kann bestimmt nicht widerstehen. Er wartet nur ab, bis er glaubt, die Oberhand zu haben. Wahrscheinlich würde er mich am liebsten jetzt gleich anrufen, aber er will sich nicht wie ein Versager fühlen, wenn er mit mir spricht.« Sie lächelte schief. »Er braucht das Sklave-Meister-Spiel.«
Kelby schaute sie lange an. »Also gut, ein Tag. Mehr nicht.«
Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Was hast du vor? Du kannst ihn nicht noch mal auf dieselbe Weise austricksen.«
»Ich weiß. Inzwischen ist er ebenso scharf auf mich wie auf die Unterlagen. Vorher war ich für ihn nur ein kleiner Bonus.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß noch nicht, was ich vorhabe.
Es muss eine Möglichkeit geben …«
Sie brauchten keinen ganzen Tag auf Archers Anruf zu warten.
Zwei Stunden später klingelte Melis’ Telefon.
»Na, sind Sie zufrieden?«, fragte Archer. »Es hat sich nichts geändert, Melis. Ich lebe und Sie leben und ich warte immer noch darauf, dass Sie mir die Unterlagen
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