Bodenlose Tiefe
zurückfahren.«
»Nein.« Sie legte ihren Kopf gegen die Rückenlehne. Sie war körperlich und seelisch vollkommen erschöpft. In Athen hatte sie um Phil getrauert, aber der Verlust, den sie jetzt empfand, schmerzte noch viel mehr. »Wenn ich es nicht war und du es auch nicht warst, dann konnte nur noch Phil die Unterlagen entfernt haben. Welchen Grund hätte er vor seinem Tod dafür gehabt haben sollen? Der Phil, den ich zu kennen glaubte, hätte mir davon erzählt. Marinth bedeutete ihm alles. Wenn er sich in Gefahr geglaubt hätte, hätte er niemals riskiert, dass all seine Forschungsunterlagen für immer verloren gehen könnten.« Sie holte tief Luft. »Aber er hatte mir nichts gesagt. Also habe ich angefangen, über andere Möglichkeiten nachzudenken, und bin auf etwas völlig Verrücktes gekommen. Aber es war eben nicht verrückt, nicht wahr? Es war durchdacht und wahr und so scheußlich –«
»Schsch.« Kelby zog ihren Kopf an seine Schulter. »Es ist vorbei. Es sei denn, du überlegst es dir noch und lässt mich noch mal zu Lontana zurückfahren. Das erledige ich gerne für dich.«
»Das würde auch nichts ändern. Ich werde nie vergessen, dass er sich nicht als der Freund erwiesen hat, für den ich ihn gehalten habe, dass er mich für Marinth geopfert hat. Aber ich möchte nicht, dass mir auch noch sein Tod für immer in Erinnerung bleibt.«
»Wie du willst. Für mich wäre es eine angenehme Erinnerung.« Er massierte ihr zärtlich den Nacken. »Tut deine Wunde weh?«
»Ein bisschen.« Er fühlte sich warm und stark und lebendig an. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass Phil diesem Leben ein Ende bereiten wollte. Das war schlimmer als die Telefongespräche, mit denen Archer sie gefoltert hatte. Phil musste betraft werden. Die Wut würde noch kommen, aber im Moment fühlte sie sich nur traurig und einsam. Nein, Kelby gab ihr Trost. Wie oft hatte er sie in der kurzen Zeit, die sie sich kannten, schon so in den Armen gehalten und getröstet? Sie konnte sich nicht erinnern und es spielte auch keine Rolle. Sie verspürte jetzt kein Bedürfnis, stark und unabhängig zu sein. Sie würde jede Minute in seinen Armen auskosten.
»Aber Lontana hat dir viel schlimmer wehgetan«, sagte Kelby.
»Und das ist eine Wunde, die ich nicht heilen kann, verdammt.«
»Ich will nicht mehr über ihn reden.« Doch das Bewusstsein, verraten worden zu sein, würde sie wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens mit sich herumtragen. »Sind wir bald am Hafen?«
»In fünf Minuten«, sagte Nicholas.
»Gut.« Sie wollte zurück aufs Schiff und sich für eine Weile verkriechen. Zwar würden sie sich auch noch mit Archer auseinander setzen müssen, aber dazu hatte sie im Augenblick nicht die Kraft. Sie wollte nur noch von dieser Insel weg.
Weg von Phil und seinem kleinen Haus mit Blick auf das tiefe, blaue Meer, das seinen Traum barg.
Erst beim dritten Versuch gelang es Lontana, Archer zu erreichen. Er gab sich alle Mühe, sich seine Panik nicht anmerken zu lassen. »Sie hatten mir versprochen, Kelby zu liquidieren. Dieses Versprechen können Sie jetzt einlösen. Ein Schiff wartet auf mich, das mich nach Madrid bringen soll, damit ich die Bergungsrechte beantragen kann, aber das geht nicht, solange Kelby lebt. Sie müssen ihn so schnell wie möglich mitsamt der Trina in die Luft jagen.«
»Wo sind die Unterlagen, Lontana?«
»Ich habe sie. Schaffen Sie Kelby aus dem Weg.«
Schweigen. »Warum haben Sie mich angerufen?«
»Weil Sie unbedingt –« Er holte tief Luft. »Sie haben versucht, mich reinzulegen. Sie haben heute Abend versucht, die Unterlagen von Melis zu kriegen. Das verstehe ich. Aber jetzt wissen Sie, dass ich die Unterlagen habe, und Sie müssen tun, was Sie versprochen haben.«
»Woher wissen Sie, was heute Abend vorgefallen ist?«
»Rufen Sie mich an, sobald Sie Ihren Teil der Abmachung erledigt haben, dann treffen wir uns und ich werde Ihnen die Unterlagen übergeben.« Damit legte er auf.
Nachdenklich betrachtete Archer das Telefon.
Der Scheißkerl hatte Angst. Und woher zum Teufel wusste Lontana, dass er, Archer, versucht hatte, ihn reinzulegen?
Das konnte er nur von Kelby oder Melis erfahren haben.
Aber wie war das möglich? Melis hielt Lontana für tot.
Auf keinen Fall konnte sie seine neue Telefonnummer haben.
Also hatte entweder er sie angerufen – was unwahrscheinlich war – oder sie hatte persönlich mit ihm gesprochen.
Auf Cadora. Ganz genau.
Seit sie den Deal ausgehandelt hatten,
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