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Bodin Lacht

Bodin Lacht

Titel: Bodin Lacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Schenk
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führen.
    Hat sich Evelyn prostituiert?, fragte Martin. Er kam langsam zu sich, seine Mundhöhle schmeckte nach Asche, er fühlte sich übernächtigt und schuldig. Evelyn war keine Prostituierte. Nein, sie ist mehr oder weniger hineingerutscht, sagte Liliane, man weiß noch nicht alles. Für dich sieht es aber jetzt besser aus, oder? Ja, Martin atmete auf, etwas aber in Lilianes Gesicht, ein eigenartiger Schimmer in ihrem fliehenden Blick, nervöse Handbewegungen, ihre Art, sich im Raum umzusehen, gaben ihm zu denken, dass alles eben nicht so gut war, wie sie sagte. Dass dieses Ungute, das sie bedrückte, nichts mit seinem Fall zu tun hatte, wurde ihm bald klar. Sie bat ihn, Kaffee zu kochen und marschierte in die Praxis, als hätte sie auch da einen Durchsuchungsbeschluss. Martin zog sich an, setzte den Kaffee auf und folgte der Schnüfflerin: Sie blätterte ungeniert in den bekritzelten Akten der Christine Droemer, die er auf Bodins Schreibtisch hatte liegen lassen.
    Die Neugier der Polizei kennt keine Grenzen, tadelte er scherzend. Liliane aber reagierte nicht sofort, und als er neben ihr stand und ihre Blässe, ihre zitternden Hände bemerkte, fürchtete er wieder, dass ihre vorige Heiterkeit gekünstelt, eine schlimme Nachricht nur aufgeschoben war. Sie schaute zu ihm und wedelte schweigend mit den Akten. Mit der Träne auf ihrer Wange verflüchtigte sich für ihn endgültig die Polizistin.

FELD 54: PAULAS KÄFIG
    Schmerzen sind der Stachel, der immer aufs Neue zum Nachdenken über das gesamte leben nötigt; Schmerzen zwingen die Sorge herbei, die ein Selbst wieder auf den Weg zu bringen vermag.
    W ILHELM S CHMID, Glück
    Am schlimmsten war für Paula der Tag gewesen, als sie das Gesicht ihres Sohnes im Fernsehen sah, die Kommentare dazu war sie nicht mehr in der Lage zu verstehen, nicht einmal zu hören, was artikuliert wurde, sie vernahm ein ungewöhnliches Krächzen der Luft, ein Husten der Mauer, ein Schnarren der Gardine, alles von einem Teufelsgrummeln überdeckt. Sie schluckte zwei Schlaftabletten, wurde am nächsten Tag von Simones heftigem Klingeln geweckt, die zwei Zeitungen brachte, die eine war das Schlimmste und Vulgärste, was Deutschlands Presse zu bieten hatte, die Schande eines sensationsgeilen Volks, mit dem fetten blutroten Großtitel: Hat ein Zwitter die junge Künstlerin ermordet? Sie sah klar, wie sich alle wichtigen und unwichtigen Köpfe der Stadt über diesem Blatt sammelten, alle Professoren und Kommilitonen-Fratzen, alle Bekanntenvisagen, und mitleidvoll, schadenfroh, verblüfft nickten über die verlorenen Zukunftsaussichten von Martin Vanderbeke, dem Sohn der Paula Vanderbeke. Sie warf die Zeitung von sich, schüttelte noch die Finger, als wären sie blutgetränkt, rannte zu Otta, entließ einen Schrei in die Landschaft und tauchte selbst den Kopf ins eiskalte Wasser, erinnerte sich aber noch rechtzeitig, als Otta mit dem Schnabel ihren Kopf malträtierte, dass diese täglich in das Wasser urinierte, und so tauchte sie schnell wieder auf, ging duschen und erstickte weitere lange Klagen unter der Dusche. Simone versuchte vergeblich, sie zu trösten.
    Liliane Hoffmann aber besuchte sie einen Tag später und seitdem fühlte sich Paula besser. Sie schrieb in »Lilianes Partitur«, die Polizistin habe ihr versprochen, alles werde wieder gut, sie hätten einen Verdächtigen, der sie zu weiteren Verdächtigen führen würde, ja, und sie, Liliane, würde sich jetzt um Martin kümmern, und na klar, dem armen Jungen dieses Obst und diesen Kuchen und dieses Marmeladenglas mitnehmen. Paula hatte Vertrauen in diese Polizistin, nicht nur, weil sie vorläufig gefeuert war, sondern auch weil sie alles andere als hübsch und elegant war. Hübsche und elegante Frauen zeigten sich weniger vertrauenswürdig, sie ähnelten Paula selbst, waren unfähig, ihre Söhne zu beschützen, da sie im wohlriechenden Käfig ihres Egos eingesperrt und dazu von blinder Liebe doppelt verblendet waren, es fehlte ihnen an Übersicht, an Distanz, an Klugheit. Diese originelle Frau mit der ein bisschen zu groben Schnüfflerinnennase würde ihren mädchenhaften Sohn retten, denn sie richtete den Jungen nicht, machte sich nicht lustig über seine Doppelgeschlechtlichkeit, im Gegenteil, diese Kriminalistin, murmelte Paula in Ottas Anwesenheit und wiederholte es abermals für Simone

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