Body Farm
Mistweib.«
»Kay, sei einmal still und hör mir zu«, sagte er langsam und bedächtig, offenbar, um mich zu beruhigen. »Ich mache mich wieder auf den Weg nach North Carolina und erkunde, was zum Teufel dort los ist. Wir gehen der Sache auf den Grund, das verspreche ich dir. Aber ich möchte, daß du dieses Hotel so schnell wie möglich verläßt. Wie lange bleibst du ungefähr in Knoxville?«
»Ich kann hier weg, wenn ich auf der Farm mit Katz und Dr. Shade gesprochen habe. Katz holt mich um acht ab. Mein Gott, ich hoffe, es hat aufgehört zu regnen. Ich habe noch keinen Blick aus dem Fenster geworfen.«
»Hier scheint die Sonne«, sagte er, als hieße das, in Knoxville müsse sie auch scheinen. »Wenn etwas dazwischenkommt und du nicht wegkannst, nimm ein anderes Hotel.«
»Das tue ich.«
»Und dann flieg nach Richmond zurück.«
»Nein«, sagte ich. »In Richmond kann ich in dieser Angelegenheit nichts unternehmen. Und Lucy ist auch nicht da. Wenigstens weiß ich sie in Sicherheit. Wenn du mit Marino sprichst, sag ihm nichts über mich. Kein Sterbenswörtchen über Lucys Aufenthalt. Geh einfach davon aus, daß er es Denesa Steiner sagen wird. Er ist aus dem Ruder gelaufen, Benton. Er hat sie ins Vertrauen gezogen, das weiß ich.«
»Ich halte es nicht für klug, wenn du gleich nach North Carolina kommst.«
»Ich muß.«
»Warum?«
»Ich muß die alten medizinischen Unterlagen über Emily Steiner finden und komplett durcharbeiten. Ich möchte auch, daß du jeden Ort herausfindest, an dem Denesa Steiner gelebt hat. Ich möchte alles über mögliche weitere Kinder, Ehemänner oder Geschwister erfahren. Vielleicht gibt es weitere Todesfälle. Vielleicht müssen wir weitere Exhumierungen vornehmen.«
»Woran denkst du?«
»Erst einmal möchte ich wetten, daß es keine kranke Schwester in Maryland gibt. Mrs. Steiner ist nach Norden gefahren, weil sie meinen Wagen von der Straße abdrängen wollte. Mich wollte sie umbringen, aber Lucy hat sie erwischt.«
Wesley sagte nichts. Ich spürte seine Gespaltenheit, und das gefiel mir nicht. Ihm zu sagen, was ich wirklich dachte, fürchtete ich zwar, aber ich konnte auch nicht schweigen.
»Bislang gibt es auch nichts über den plötzlichen Kindstod, du weißt schon, ihr erstes Kind. In den Standesamtsunterlagen in Kalifornien ist darüber nichts zu finden. Ich glaube, das Kind hat es nie gegeben. Und das paßt ge nau ins Muster.«
»Was für ein Muster?«
»Benton«, sagte ich, »wir wissen nicht, ob nicht Denesa Steiner selbst ihre Tochter umgebracht hat.«
Er stieß die Luft aus. »Du hast recht. Das wissen wir nicht. Wir wissen überhaupt nicht viel.«
»Und Mote hat in unserer Fallbesprechung darauf hingewiesen, daß Emily kränkelte.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Auf das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom.«
»Kay, das glaubt uns doch keiner. Ich selbst will es nicht glauben.«
Bei diesem Syndrom handelt es sich um ein fast unvorstellbares Phänomen, bei dem die erste Bezugsperson eines Kindes - gewöhnlich die Mutter - dieses heimlich und geschickt mißbraucht, um Zuwendung und Aufmerksamkeit zu erringen. Sie fügt ihm Schnittwunden zu, bricht ihm die Knochen, vergiftet es und drückt es fast zu Tode. Dann rennen diese Frauen den Ärzten und Notaufnahmen die Tür ein und erzählen ihnen unter Tränen, wie ihr Kleines krank geworden sei oder sich verletzt habe, und die Mutter wird sehr bedauert. Sie erregt Aufmerksamkeit. Sie manipuliert die Ärzte immer gekonnter, und schließlich stirbt ihr Kind vielleicht sogar.
»Stell dir doch die Aufmerksamkeit vor, die Mrs. Steiner nach dem Mord an ihrer Tochter genossen hat«, schloß ich.
»Das will ich nicht bestreiten. Aber wie erklärt man mit dem Münchhausen-Syndrom Fergusons Tod oder was angeblich Lucy zugestoßen ist?«
»Jede Frau, die zu dem fähig war, was Emily angetan wurde, ist auch sonst zu allem fähig. Vielleicht hat Mrs. Steiner einfach keine Angehörigen mehr, die sie töten könnte. Es würde mich übrigens überraschen, wenn ihr Mann tatsächlich an einer Herzattacke gestorben ist. Wahrscheinlich hat sie auch ihn auf eine sehr verdeckte und raffinierte Art umgebracht. Diese Sorte Frauen sind pathologische Lügnerinnen. Zur Reue sind sie nicht fähig.«
»Was du da andeutest, geht über Münchhausen hinaus. Wir reden über Serienmorde.«
»Kein Fall ist wie der andere. Die Menschen sind schließlich auch alle verschieden, Benton. Das weißt du. Und Serienmörderinnen bringen oft
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