Body Farm
ihre Männer, Angehörigen und sonstige Menschen um, die ihnen etwas bedeuten. Auch ihre Methoden unterscheiden sich im allgemeinen deutlich von denen männlicher Serienmörder. Weibliche Psychopathen vergewaltigen nicht und erdrosseln nicht ihre Opfer; sie ziehen Gift vor. Sie ersticken lieber einen Menschen, der sich nicht wehren kann, weil er zu jung oder zu alt ist oder irgendwie behindert. Ihre Phantasie geht andere Wege, weil Frauen eben anders sind als Männer.«
»Kein Mensch aus ihrer Umgebung wird glauben wollen, was du da unterstellst«, sagte Wesley. »Falls du recht hast, wird es jedenfalls verteufelt schwer zu beweisen sein.«
»Fälle wie diese hier sind immer verteufelt schwer zu beweisen.«
»Würdest du vorschlagen, Marino einzuweihen?«
»Ich hoffe, du tust das nicht. Mrs. Steiner darf auf keinen Fall ahnen, was wir denken. Ich muß ihr ein paar Fragen stellen. Sie muß kooperieren.«
»Einverstanden«, sagte er. Mir war klar, wie hart es ihn anging hinzuzufügen: »Wir dürfen Marino in der Tat nicht länger an diesem Fall lassen. Vor allem, weil er mit einer möglichen Verdächtigen persönlich in Beziehung steht. Er schläft womöglich mit der Mörderin.«
»Genau wie der Ermittler vor ihm«, erinnerte ich.
Er antwortete nicht. Unsere gemeinsame Angst um Marinos Sicherheit brauchte nicht ausgesprochen zu werden. Max Ferguson war gestorben, und Denesa Steiners Fingerabdruck befand sich auf einem Kleidungsstück, das er bei seinem Tod getragen hatte. Es wäre leicht gewesen, ihn in ein ungewöhnliches Sexspiel zu locken und dann den Stuhl unter ihm wegzustoßen.
»Ich finde es wirklich schlimm, daß du immer tiefer in diese Sache hineingerätst, Kay«, sagte Wesley.
»Daß wir uns so gut kennen, ist eine unserer Schwierigkeiten«, sagte ich. »Aber ich finde es auch schlimm. Und ich wünschte, du stecktest auch nicht so tief darin.«
»Das ist etwas anderes. Du bist eine Frau und dazu Ärztin. Wenn deine Annahme stimmt, haben bei ihr längst die Alarmglocken geläutet. Sie wird versuchen, dich in ihr Spiel hineinzuziehen.«
»Das hat sie bereits getan.«
»Sie wird dich noch tiefer hineinziehen.«
»Ich hoffe, sie tut das.« Ich spürte wieder die Wut in mir hochkommen.
»Ich möchte dich sehen«, flüsterte er.
»Das wirst du«, sagte ich. »Schon bald.«
18
Das Institut für Thanatologie an der Universität von Tennessee kannte man schlicht unter dem Namen »Body Farm«, die Farm der Leichen also, und zwar so lange ich zurückdenken konnte. In den Ohren eines Gerichtsmediziners wie mir, klingt das weder gruselig noch abfällig, denn niemand hat mehr Respekt vor den Toten als jemand, der mit ihnen arbeitet, sich ihre stillen Geschichten anhört und versucht, jenes geheime Abc des Toten zu entschlüsseln. Schließlich ist einziges Ziel dieser Beschäftigung mit dem Tod doch nur das, den Lebenden zu helfen. Genau das war auch vor gut zwanzig Jahren der Anstoß gewesen, die Body Farm ins Leben zu rufen: Man wollte wissenschaftliche Methoden erarbeiten, um die Todeszeit genauer bestimmen zu können. Seither verging kein Tag, an dem sich nicht Dutzende von Leichen in allen möglichen Stadien der Verwesung auf diesem waldreichen Areal befanden. Regelmäßig hatte auch ich mich dort aufgehalten und an Forschungsprojekten mitgewirkt, und wenn ich auch bei der Bestimmung der Todeszeit nie perfekt werden würde, so hatte ich doch deutliche Fortschritte gemacht. Die Farm unterstand dem Institut für Anthropologie und hatte ihre Diensträume ausgerechnet im Keller des Football-Stadions; ihr Leiter war Dr. Lyall Shade. Um 8.15 Uhr ging ich, begleitet von Dr. Thomas Katz, die Stufen in den Keller hinunter. Der Weg führte uns am Zooarchäologischen Labor für Weichtiere und neotropische Primaten vorbei, an der Sammlung von Tamarins und Marmosetten und an mancherlei merkwürdigen Projekten, die mit römischen Ziffern versehen waren. An vielen Türen klebten Far-Side-Cartoons und markige Sprüche, über die ich lächeln mußte. Dr. Shade saß an seinem Schreibtisch und studierte die Fragmente eines verkohlten menschlichen Knochens.
»Guten Morgen«, sagte ich.
»Guten Morgen, Kay«, erwiderte er mit zerstreutem Lächeln.
Dr. Shade machte seinem Namen alle Ehre, und nicht nur in einem naheliegenden ironischen Sinn wegen des unterirdischen Schattenreichs, in dem er arbeitete. Er kommunizierte tatsächlich mit den Geistern der Verstorbenen, indem er ihr Fleisch und ihre Knochen zu sich
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