Böse Dinge geschehen
der Beifahrerseite heruntergekurbelt und rausgefeuert hat. Wir haben auf beiden Seiten gesucht, sie aber nicht finden können.«
Als Nächstes meldete sich Kim Reyes zu Wort. Sie war eine der jüngsten Detectives in der Abteilung, und man hatte ihr die Aufgabe übertragen, mit Adrian Tullys Freunden und den Kommilitonen an der Universität zu sprechen. Sie beschrieben Tully weitgehend als schüchtern und launisch, sagte sie. Niemand ging allerdings so weit, ihn als depressiv oder suizidgefährdet zu bezeichnen. Und niemand hatte je eine Pistole bei ihm gesehen oder erlebt, dass er davon gesprochen hätte, eine Waffe zu besitzen.
Reyes war auch die Durchsuchung von Tullys Wagen übertragen worden. Alles in dem Fahrzeug war aufgelistet worden, berichtete sie, bis hin zu den Cola-Dosen und den Hamburger-Packungen auf dem Rücksitz. Jeder Gegenstand, der vielleicht Fingerabdrücke enthielt, würde entsprechend behandelt.
»Unter dem Beifahrersitz habe ich etwas Interessantes gefunden«, sagte sie. »Es steckte in einer der Schienen, in denen man den Sitz vor und zurückschieben kann.«
Lässig zog sie einen Plastikbeutel für Beweisstücke aus einem wattierten Kuvert. Darin befand sich ein kleines dreieckiges Stück Papier, das aussah, als wäre es von einem größeren abgerissen worden.
|182| Auf dem Papier waren Fragmente einer Druckschrift zu erkennen. Elizabeth beugte sich vor, um genauer sehen zu können. Sie konnte die Wörter OXFORD UNIVERSI- ausmachen.
»Das ist ein Stück von einem Schutzumschlag«, sagte Reyes. »Als ich es fand, fingen bei mir die Alarmglocken an zu läuten, denn dem Buch auf Tom Kristolls Schreibtisch fehlte der Schutzumschlag. Shakespeares
Gesammelte Werke
. Ich wollte einen Vergleich anstellen, also bin ich zu Borders gefahren, um zu sehen, ob sie ein Exemplar dahatten.«
Sie holte einen unversehrten Schutzumschlag aus dem Kuvert. Elizabeth erhaschte einen Blick auf den Namen des Verlags auf der Rückseite: OXFORD UNIVERSITY PRESS.
»Schlau«, sagte sie halb zu sich selbst.
»Sie stimmen genau überein«, erläuterte Reyes.
Owen McCaleb griff nach dem Beutel und betrachtete das Papierstück darin.
»Glauben Sie, dass das absichtlich dort hinterlassen worden ist?«, fragte er Elizabeth.
Sie blieb unverbindlich. »Da sind wahrscheinlich keine Fingerabdrücke drauf.«
»Das Stück ist sauber«, sagte Reyes. »Keine Fingerabdrücke.«
Carter Shan hatte sich eher ein wenig abseits gehalten und auf einem Stuhl am Fenster Platz genommen, aber nun stand er auf. »Wenn das absichtlich hinterlassen worden ist, dann bestätigt es unseren Verdacht. Tom Kristolls Mörder hat das Buch benutzt, um ihn niederzuschlagen, und hat dann den Schutzumschlag mitgenommen, weil er Fingerabdrücke darauf hinterlassen hatte. Später hat er beschlossen, Tully umzubringen und ihm den Mord an Kristoll anzuhängen. Er hat dieses Stückchen vom Umschlag abgerissen, es abgewischt und in Tullys Wagen gelegt.«
»Es ist wirklich clever, nur ein Stückchen zu hinterlassen«, fügte Elizabeth hinzu. »Und subtil. Die Alternative wäre gewesen, den ganzen Umschlag dazulassen, aber dann hätte man das |183| Ding komplett abwischen müssen. Und dann würden wir sehen, dass es abgewischt worden ist, und würden uns fragen, warum. Der Umschlag bringt Tully mit dem Verbrechen in Verbindung. Warum sollte er sich die Mühe machen, ihn abzuwischen, statt ihn einfach wegzuschmeißen?
So aber können wir uns vorstellen, wie Tully vom Tatort in Kristolls Büro flieht. Er schiebt den Umschlag unter den Sitz, als er wegfährt. Später hält er irgendwo und zieht den Umschlag hervor, um ihn wegzuschmeißen oder zu verbrennen oder was immer er sonst damit tun will. Ein Stück bleibt in der Schiene unterm Sitz hängen und reißt ab, aber er bemerkt es nicht.«
McCaleb trommelte mit den Fingern auf seinem Schreibtisch herum. »Warum kann es denn nicht genau so gewesen sein? Tully tötet Kristoll, versteckt den Umschlag unterm dem Sitz. Später verbrennt er ihn – bis auf die abgerissene Ecke. Sie bleibt unterm Sitz, bis Tully sich selbst erschießt, und dann finden wir sie. Warum nicht?«
»Da ist der Zeuge, der zwei Schüsse gehört hat«, sagte Shan.
»Und dann die Zeugen, die einen, vier oder keinen Schuss gehört haben«, sagte McCaleb.
»Es gibt noch eine Möglichkeit«, mischte Kim Reyes sich ein. »Stellen wir uns vor, Tully hat Kristoll wirklich getötet, und so ist auch das Papierstückchen unter seinen Sitz
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