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Böse Freundin (German Edition)

Böse Freundin (German Edition)

Titel: Böse Freundin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myla Goldberg
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herrschte – ohne das Hab und Gut, das ihr etwas bedeutete – inzwischen das Gesetz, das sich universell auf die Natur und auf leere Räume anwenden lässt: Den Schrank füllte wechselweise die Winter- oder Sommergarderobe ihrer Eltern, und die unteren Schubladen ihres alten Schreibtischs bevölkerten Geschenke aus zwei Berufslaufbahnen mit unzähligen Betriebsfeiern. In den Ecken hatten sich diverse Kisten angesiedelt – Finanzunterlagen, Geschenkpapier, Weihnachtsschmuck –, alles Dinge, die man sonst mühsam auf allen vieren kriechend vom Dachboden hätte holen müssen. Die wenigen noch vorhandenen Gegenstände aus ihrer Kindheit – das hochbeinige Bett mit der getupften Überdecke und dem passenden Volant, ein verblichenes Poster von Elton John, das Regal mit einem verstaubten Kelch vom Schulabschlussball, ein lange nicht mehr zur Hand genommener Band mit Kinderreimen und etliche undefinierbare Plüschtiere, zu denen niemandem ein Name eingefallen war – waren zu dürftig, um ein Bild von ihrer einstigen Besitzerin heraufzubeschwören. Celia fühlte sich diesem Zimmer so wenig verbunden wie ein Einsiedlerkrebs seinem abgelegten Gehäuse.
    Die gleiche Empfindung hatte sie zu Beginn der Woche in Chicago gehabt, doch dieser Montag und die drei dazwischenliegenden Tage schienen wie von einem Zerrspiegel in unerreichbare Ferne gerückt. Die Straßenecke sah sie nur noch verschwommen vor sich, und aus dem Büro waren ihr lediglich die Mienen von Gary und Helene im Gedächtnis geblieben, doch Celia erinnerte sich an die Fahrt zurück, an das fröhliche Gebell der Hunde, das Wischen ihrer Pfoten auf der anderen Seite der Wohnungstür und schließlich an die Gnadenfrist, in der Bella und Sylvie ihr das Gesicht abschleckten, fest und warm und tröstlich neben ihr auf der Couch saßen, während die Wohnung sich in ein Museum verwandelte. Vor ihrem inneren Auge sah sie ein Plakat neben Hucks Gitarre in der Ecke, Beschriftungen neben den Fotos, die sie zur Feier ihres ersten Jahrestags in der Wohnung hatte rahmen lassen, sah sich sogar selbst als Schaubild auf ihrem Kissen links auf der Couch, Huck rechts neben sich. In der Zeit zwischen dem Aufbruch am Morgen und ihrer Rückkehr war all das zu historischen Relikten geworden, zu Artefakten aus ihrem einstigen Leben.
    Huck verwies gerne darauf, dass die Beschäftigung mit der Geschichte ein rückwärtsgewandter Zeitvertreib war. Da man unmöglich die künftige Bedeutung eines beliebigen Moments erahnen konnte, war man stets gut beraten, in bestmöglicher Verfassung zu sein, damit man ja keine Gelegenheit verpasste, unbeabsichtigt Geschichte zu schreiben. Dies war Hucks Schlachtruf im Unterricht, und es wurde zum Mantra, wenn er sich auf Partys mehr als sonst zudröhnte und auf der potenziellen zukünftigen Bedeutung genau dieses Augenblicks herumritt, ebendieses Augenblicks hier und jetzt . Je nach Stimmung fand Celia diesen Gedanken fesselnd oder nervig, doch an jenem Montag, mit den Hunden auf der Couch, spürte sie, dass etwas Wahres daran war. Huck und sie hatten sich morgens angezogen, gefrühstückt und sich auf ihren jeweiligen Weg gemacht – und damit unwissentlich das Ende einer Ära erlebt, das letzte Glied einer morsch gewordenen Kette.
    In der Evakuierungszone, der Jeremys altes Zimmer mittlerweile glich, setzte sich Celia an den Schreibtisch, auf dem früher ein stetig wachsendes Sortiment aus Fantasyfiguren, Spielen, Baseballbüchern und CDs zu besichtigen gewesen war. Nun standen hier bloß der Computer ihres Vaters, ein Henkelbecher mit Stiften und einer Schere und ein Abreißkalender mit einem Rätsel für einen Aprilmittwoch vor drei Jahren. Am Bildschirm klebte ein verblasster Haftzettel mit einer Liste in Warrens Handschrift: Heizkessel? Schornstein? Steuerquittungen, Staubsaugerbeutel. Nur die letzten beiden Posten waren durchgestrichen. Jeremys nackte Matratze hinter dem Schreibtisch zierte eine grüne Decke, der noch die Falten von ihrer Originalverpackung anzusehen waren. Mit ihrer Frische passte sie ebenso wenig wie der neue Teppich zu den leeren Regalen, den fleckigen Wänden und den schlaffen Vorhängen, die vor Urzeiten aus Bettlaken genäht worden waren, die blauen Streifen von der Sonne grau gebleicht.
    Leanne hatte bereits zurückgeschrieben. Der elektronische Poststempel der E-Mail weckte in Celia eine Art schlummerndes Schwarmwissen: Leanne hatte auf «Senden» gedrückt, während Celia und Becky sich gegenseitig ausfragten. Es

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