Böse Freundin (German Edition)
hoffentlich nicht krank oder so? Oder ist mit dir und Huck –?»
«Uns geht’s gut. Mir geht’s gut.» Celia ging bis zur Küchenwand und wieder zurück, ein Reflex aus den Zeiten, als das Telefon noch eine Schnur hatte. «Ich versuche ein paar alte Freundinnen aufzuspüren. Ich erzähl’s dir genauer, wenn du am Samstag kommst.»
«Wen?»
«Hm?»
«Wen versuchst du aufzuspüren?»
Celia setzte sich auf einen Küchenstuhl. «Du erinnerst dich wahrscheinlich nicht mehr an sie, aber ich habe mich gerade mit Becky Miller getroffen.»
«Becky Miller», sagte Jeremy. «Schlaues Mädchen mit Pony und dünnen Armen. Komisches Lachen. Ihr zwei seid immer los zu irgendwelchen Expeditionen.»
«Jem, woher weißt du das? Du warst damals doch erst sieben oder so.» Der Stuhl, auf dem ihr Vater normalerweise saß, bot mehr Ausblick auf den Garten als ihr eigener Platz am Tisch, Celia konnte bis zu dem Sichtschutz aus Zedernholz sehen.
«Pam nennt es mein Elefantengedächtnis», sagte Jeremy. «Aber bei Becky ist es nicht schwer. Sie hat mir schließlich das Leben gerettet.»
«Was?»
«Na ja, damals habe ich es so empfunden. Wir drei waren da gerade auf dem Rückweg vom Bach.»
«Ich hab ganz vergessen, dass du immer mitspielen wolltest», sagte Celia. «Und sie hatte dich immer gerne mit dabei.»
«Bei mir konnte sie sich wohl am ehesten wie eine große Schwester fühlen», sagte Jeremy. «Na, jedenfalls mussten wir auf dem Heimweg über eine Straße, und da hab ich eine Stelle erwischt, wo der Asphalt eingesunken war. Für einen Warnkegel war sie nicht groß genug, es passte vermutlich nicht viel mehr als ein Kinderfuß hinein, aber ich hab’s irgendwie geschafft reinzutreten und steckte bis übers Knie drin. In dem Moment kam ein Auto, aber ich war so perplex, dass ich mich nicht rühren konnte. Du und Becky, ihr wart schon auf der anderen Seite. Du hast mir zugebrüllt, dass ich von der Straße runtersoll, aber Becky ist zu mir zurückgelaufen und hat die Hand gehoben, damit das Auto stehen bleibt. Du hattest ein schlechtes Gewissen, weil du mich doch immer an der Hand halten solltest. Es wäre nichts passiert, selbst wenn der Fahrer mich nicht gesehen hätte, die Straße war ziemlich breit, aber seit der Aktion war Becky für mich die Superheldin überhaupt oder zumindest die Frau, die ich eines Tages heiraten würde. Lustig, jetzt wieder ihren Namen zu hören.»
Celia versuchte sich Jeremys Schilderung ins Gedächtnis zu rufen, doch es blieb bei den einzelnen Bestandteilen, eine Handvoll Puzzlestücke, die aus unterschiedlichen Bildern zu stammen schienen.
«Jem», fragte sie, «war ich jemals grausam zu dir?»
«Du hast mich ja nicht absichtlich auf der Straße allein gelassen. Es war ein Versehen.»
«Das meine ich nicht», sagte Celia. «Ich meine ganz allgemein. War ich grausam?»
Jeremy lachte. «Wie kommst du denn darauf?»
«Wenn ja, würdest du’s mir sagen, oder?»
«Klar. Warst du aber nicht. Du warst eine ziemlich nette große Schwester. Frag mal Pam; im Vergleich zu ihren Brüdern waren wir alle die reinsten Heiligen.»
Celia betrachtete prüfend ihr Spiegelbild im Küchenfenster. Sie fühlte sich den verborgenen Zahnradmechanismen der Erinnerung nicht gewachsen.
«Bei dem Treffen mit Becky heute musste ich an eine andere aus der Schule denken, mit der ich damals öfter zu tun hatte, ein Mädchen namens Leanne.»
Sie wartete.
«An die erinnere ich mich nicht», sagte Jeremy. «Wahrscheinlich hast du sie nie mit nach Hause gebracht. Aber jetzt sag mal, was machen denn die Vierbeiner? Alles okay mit ihnen?»
Ihr Bruder kannte die zwei nur von Bildern. «Den Hunden geht’s prima.»
«Gut», sagte Jeremy. «Also dann bis Samstag. Zum Brunch, zum Abendessen oder zu was auch immer. Und – wenn ich fragen darf – wo ist Becky jetzt?»
«Becky?»
«Du hast doch gesagt, du hättest dich mit ihr getroffen?»
«Sie wohnt in Scranton, stell dir vor.»
«Wow, Scranton.» Schweigen. «Ist sie glücklich?»
Darüber hatte Celia noch nicht nachgedacht. «Ja, doch», sagte sie. «Ich glaube schon.»
«Glücklich ist gut», sagte Jeremy.
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9. Kapitel
Nach dem Telefonat mit ihrem Bruder wieder in sein Zimmer zu gehen hatte etwas von unbefugtem Betreten an sich, aber Celia wusste nicht, wo sie sonst hinsollte. Um sich nicht gleich wieder an den Computer setzen zu müssen, bog sie am Ende des Flurs erst einmal nach rechts statt nach links ab. In ihrem alten Zimmer
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